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Blick in die Zukunft

Auf dem 2. APOLLON Symposium der Gesundheitswirtschaft sprachen Referenten und Teilnehmer über die Zukunft des Gesundheitsmarktes und ihre Visionen.

Bremen

Über 200 Gäste waren am 29. Oktober 2010 zu der Veranstaltung gekommen, deutlich mehr als noch vor einem Jahr, als das Symposium zum ersten Mal stattfand. 16 Aussteller hatten im Foyer des World Trade Centers in Bremen ihre Stände aufgebaut, die APOLLON Hochschule präsentierte sich mit elf Börsenplätzen zu Themen rund um die Hochschule und einem lebhaften Get Together am Schluss der außerordentlich erfolgreichen Veranstaltung.

Es war der Tag der Visionen
Der Hamburger Professor Heinz Lohmann, geschäftsführender Gesellschafter der Lohmann Konzept GmbH in Hamburg, skizzierte in seinem Vortrag einen
uneingeschränkten Gesundheitsmarkt der Zukunft: Kundensouveränität auf der einen und die Anbieter der Versorgungsleistungen auf der anderen Seite. „Innovative Entwicklungen in der Gesundheitswirtschaft“, nannte Prof. Lohmann seinen Vortrag. Finanziert werden solle das System in Zukunft durch höchstens zehn Krankenkassen, die den Versicherten zum Beispiel drei unterschiedliche Versicherungstarife anbieten, unter denen die Patienten je nach Geldbeutel wählen können: „Gold“, „Silber“ und „Basis“. Entsprechend werden die Anbieter auf dem Markt, seien es Kliniken, Wellness-Bäder oder die niedergelassenen Ärzte, „De Luxe-“, „Premium-“ oder „Standard“-Angebote machen.

Nicht mehr alles für alle
„Die Ökonomen werden in Zukunft eine viel größere Rolle in der Gesundheitsversorgung spielen“, prophezeite Lohmann. Alles für alle sei eben nicht mehr bezahlbar. Die Wege der Gesundheitsversorgung müssten den immer weiter auseinandergehenden Einkommensverhältnissen angepasst werden. „Wir müssen im Zweifel auf eine Urlaubsreise verzichten, um für später vorzusorgen“, zitierte Lohmann den ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und übertrug die Forderung des SPD-Politikers überspitzt auf den Gesundheitsmarkt: „Was für die Jungen die Disco ist, wird für die Alten
die Apotheke!“

Aber, auch das sagte der Professor, so weit ist es noch nicht. Noch gibt es anstelle von zehn Krankenkassen Ende Oktober 2010 genau 163 und damit „zu viele“. Noch haben sich die meisten Krankenkassen nicht eingestellt auf die Markenmedizin, wie Lohmann sagte. Allerdings bestätigten hier die Ausnahmen die Regel: Die Techniker-Krankenkasse habe es mit dem „Leistung-und-mehr-Angebot“ für einen erweiterten Service zur „Coca Cola unter den Krankenkassen geschafft“. Noch seien die Anbieter der Gesundheitsleistungen zu weit entfernt von einer nachhaltigen und brauchbaren Transparenz ihrer
Leistungsangebote. Entsprechend hinke auch die Kundensouveränität hinterher. Denn wer nicht versteht und nicht durchschaut, kann auch nicht wählen. „Eigentlich brauchen wir eine Stiftung Gesundheitstest“, so Lohmann. Erst wenn die Patienten auf dem Gesundheitsmarkt so einkaufen können wie auf dem Wochenmarkt, sei das Ziel erreicht.

Versorgung wie auf dem Wochenmarkt
Der Weg sei noch weit, aber die Reisebranche zeige zum Beispiel, wie sich auch die Gesundheitswirtschaft rasch entfalten könnte: „durch Pauschalangebote mit hoher Differenzierung“, so Lohmann. Was dem Feriengast das „Sommer-Spezial“ mit zwei Wellness-Angeboten pro Woche, Poolbenutzung und Halbpension ist, könnten also für den Patienten die Basisversorgung, plus spezieller Vorsorgeangebote und die Rückenschule sein. Gesundheitsunternehmer würden solche Pakete schnüren und Gesundheitsveranstalter würden sie anbieten. Je nach Kassenlagen können die
Versicherten dann unter den Angeboten wählen.

Dr. Hans-Jürgen Ahrens, zweiter Hauptredner des Symposiums und als ehemaliger Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes nicht weniger prominent, ist heute Vorsitzender des Gesundheitsnetzes Healthcare Rheinland sowie Kuratoriumsmitglied an der APOLLON Hochschule. Auch er forderte für die Krankenkassen die Möglichkeit, mehr gesonderte Verträge mit verschiedenen Trägern abschließen zu können, um ihren Kunden anstelle von starren Tarifen „eine ganze Reihe von Kategorien anbieten zu können“, sagte Ahrens. Unter dem Titel „GKV und PKV – Blick in die Zukunft“ beklagte der ehemalige AOK-Chef dagegen den Status Quo: „Der Gesundheitsfonds hat praktisch nichts gebracht. Es gibt derzeit im Kassenbereich keine strukturelle Veränderung.“

Die Krankenkassen brauchen mehr Konkurrenz untereinander
Statt die Krankenkassenbeiträge immer höher zu schrauben, „brauchen wir den
Wettbewerb unter den Kassen und mehr Möglichkeiten, Selektivverträge abzuschließen“, erklärte Ahrens, als sein Verständnis für Strukturveränderung. „Natürlich würden die Kassen nur mit den besten Kliniken oder anderen möglichst guten Anbietern kooperieren.“ Dies diene der Qualität der Angebote und dem Wettbewerb der Krankenkassen untereinander. Denn die Kunden würden mit den Füßen abstimmen und sich die Kasse aussuchen, die unter den Leistungserbringern die Besten unter Vertrag habe. „Die Krankenkassen erhielten so mehr Marktmacht und könnten dann zum Beispiel bei Überversorgung steuernd eingreifen“, stellte Ahrens fest. Die neue Struktur würde auch die Zentrenbildung fördern – Medizinische Versorgungszentren (MVZ), Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte könnten gemeinsam Angebotspakete zum Beispiel für bestimmte integrierte Versorgungsverträge schnüren und dann den Kassen anbieten. Zugleich sei für eine funktionierende Kommunikation zu sorgen. Denn was hilft es dem Patienten, wenn er die Angebote der Kassen nicht verstehen und beurteilen kann.
„Die Versicherten müssen in die Lage versetzt werden, mit ihren Krankenkassen und Ärzten auf Augenhöhe zu verhandeln.“

Ein Zukunftsmodell der Kooperation von privater und gesetzlicher Krankenkasse sieht Ahrens etwa in Holland verwirklicht. Für das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung wie in Deutschland dagegen gebe es „keine rationale Begründung“. Das Modell der Niederländer mit einer Grundversorgung durch die GKV und wählbarer Zusatzversicherungen durch die PKV, arbeite mit gerade noch vier Krankenkassen für 90 Prozent der Bevölkerung und einer Mindestselbstbeteiligung von 150 bis 500 Euro. Den
Plänen einer flächendeckenden Bürgerversicherung in Deutschland dagegen gibt Ahrens keine Chance: „Die Bürgerversicherung ist tot!“

Kreuzfahrt mit OP
Noch mutiger griff auf ihrem Workshop Prof. Dagmar Ackermann, Ökonomin an derHochschule Niederrhein sowie Studienleiterin an der APOLLON Hochschule, weit reichende Visionen der Krankenversorgung auf. Warum nicht mehr hausärztliche Assistenzberufe, wenn auf dem Land die Hausärzte fehlen? – Eine Idee, die derzeit bereits intensiv diskutiert wird. Noch ganz neu dagegen wirken Vorschläge wie „Selbstdiagnosezentren“ für die Patienten, um die Zugangsgeschwindigkeit zur Versorgung zu erhöhen, Operationen während einer Kreuzfahrt inklusive Reha quasi vor der Tür im Reizklima der See, oder Impfungen bei McDonald´s und Vorsorgeuntersuchungen im
Supermarkt. Wer eine ausreichende Finanzierung, eine gerechte Verteilung der
Leistungen und eine bessere Qualität der Versorgung wolle, müsse den Mut haben, ganz anders zu denken, so die Nachricht Ackermanns.

Um Fortschritte, wie Prof. Ackermann sie andenkt, überhaupt zu erreichen, ist für den Ingenieur Prof. Rainer Dammer von der Hochschule Bremerhaven die Innovationskraft der Medizintechnik zu berücksichtigen. Allerdings: „Medizintechnikunternehmen entwickeln und produzieren in großen Teilen für einen Markt, dessen Mechanismen zunehmend politisch diskutiert werden“, erklärte Dammer. Solche Diskussionen könnten aber Innovationen als auch die sektorübergreifenden Leistungen, etwa das Telemonitoring, behindern – letztere allein dadurch, dass es nur in geringem Umfang finanziert werde.
Dammers Lösung: die Wirtschaftlichkeit bereits in die Entwicklung der Technik mit einzubeziehen. Allerdings: Die Marktzulassung allein genüge nicht, um ein
Medizinprodukt erfolgreich zu machen. Die entscheidende Frage laute vielmehr: „Wie muss ein Produkt beschaffen sein, um in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen zu werden?“

Apotheken und Pharmaindustrie müssen umdenken
Was den Arzneimittelmarkt betrifft, brachte Prof. Christian Franken, Chefapotheker und Mitglied der Geschäftsleitung der Versandapotheke DocMorris sowie Studienleiter an der APOLLON Hochschule, die Teilnehmer auf den Stand der Dinge. „Die Marktteilnehmer brauchen Planungssicherheit“, erklärte Franken in Richtung Gesetzgeber, „sie können nicht agieren, wenn ständig neue Gesetze gemacht werden.“ Damit spielte Franken auf
das „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“ (AMNOG) an. Es belaste die Pharmaindustrie nicht nur zusätzlich mit rund zwei Milliarden Euro pro Jahr, unter anderem durch Nutzenbewertungen und Zwangsrabatte, es zwinge zudem auch die Apotheken zu neuen Konzepten, so Prof. Franken. Sie müssten zum Beispiel in Hinblick auf die geplante Erhöhung des Zwangsrabatts an die Krankenkassen neue Wege beschreiten. Während derzeit Apothekerkammern gegen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Phillip Rösler (FDP) Sturm laufen, dürfte Franken dabei an das Vertriebskonzept von DocMorris
gedacht haben. Auch die Pharmaindustrie müsse sich nach der Decke strecken: entweder fusionieren, sich auf die eigenen Kernkompetenzen beschränken oder auf neue, aufstrebende Märkte hoffen, hieß es.

Wer führen will, muss sich anpassen
Einen sehr farbigen Akzent setze schließlich Herbert A. Jopp von Jopp und Wilkens Management Consulting GmbH in Königstein und Dozent an der APOLLON Hochschule. Unter dem Thema „Führung und Teams“ stellte er die Frage, wie gute Führung aussieht – ein wesentliches Werkzeug, um im Gesundheitsmarkt erfolgreich zu sein. Allerdings: „Das Führungsinstrument oder das Führungsverhalten gibt es nicht“, sagte Jopp. Entscheidend
sei es, dass der Chef sein Verhalten der Situation und dem Stil des Mitarbeiters anpasse. Die Voraussetzung allerdings ist, auch den eigenen Verhaltensstil zu erkennen und im Mitarbeiterkontakt wirklich als bewusst Führender zu agieren: als Macher oder Analytiker, als Extrovertierter oder Vermittelnder. Denn auch die Mitarbeiter haben ihren Stil, und je mehr sich der Führungsstil des Chefs von dem des Mitarbeiters unterscheidet, umso größer muss die Anpassungsleistung des Chefs sein, um seine Ziele mit genau diesem Mitarbeiter zu erreichen. „Wenn ich weiß, dass ein bestimmtes Projekt funktioniert und einen analytischen Mitarbeiter davon überzeugen will“, erklärte Jopp, „dann am besten dadurch, dass ich ihn bitte, die Probleme des Projektes genau aufzulisten. So wird er durch die eigene Analyse sehen, dass seine Zweifel unberechtigt waren.“

Die Podiumsdiskussion am Schluss der Veranstaltung („Ein effizientes Gesundheitswesen – Das Gesundheitssystem im Spannungsfeld zwischen individueller Ansprache und Finanzierbarkeit“) thematisierte auch die Fragen aus dem Publikum nach der Umsetzbarkeit der Visionen. Besonders der APOLLON Hochschulpräsident und Podiumsteilnehmer Prof. Dr. Bernd Kümmel unterstrich: „Es kann keinen Primat der Ökonomie gegenüber den Versorgungsinteressen der Patienten und ihrer Ärzte geben.“

Weitere Informationen zur Hochschule im Internet unter www.apollon-hochschule.de

Für Presseanfragen, Bild- oder Interviewwünsche stehen Ihnen gerne zur Verfügung:

text+pr, Yvonne Bries und Tine Klier, Tel. 0421 565 17 24 / 29, bries@mueller-text-pr.de oder klier@mueller-text-pr.de

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