Berlin (dpa)
Seit einer Weile schon steht die Ständige Impfkommission unter Druck: Mehrere Politiker forderten sie zum Abgeben einer Empfehlung zum Impfen von Kindern und Jugendlichen auf. Arbeitet das Gremium zu langsam - oder woran hakt es?
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern weiten das Corona-Impfangebot für Kinder und Jugendliche von 12 bis 17 Jahren aus, obwohl die Ständige Impfkommission (Stiko) bislang keine generelle Impfempfehlung dafür ausspricht. Dazu Fragen und Antworten.
Wer ist die Ständige Impfkommission und welche Relevanz hat sie?
Der Stiko gehören 18 Mitglieder aus verschiedenen Disziplinen an, die ehrenamtlich in dem unabhängigen Gremium tätig sind. Sie beschäftigt sich mit der Bewertung von Studien und Daten und nimmt eine Abwägung vor. Wenn sie eine Impfung empfiehlt, gilt das als maßgebliche Richtschnur. Gewöhnlich ist das Stiko-Urteil bedeutsam für Fragen der Haftung und der Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen - bei der Corona-Impfkampagne ist dies jedoch über den Bund geregelt. Formal sei das Impfen ohne Stiko-Empfehlung möglich, es widerspreche aber der „seit jeher etablierten Praxis“, erklärte die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin vor Wochen.
Was empfiehlt die Stiko bisher beim Impfen von Kindern gegen Corona?
Die Empfehlung stützt das Impfen einer Gruppe, die laut Mertens ungefähr 350 000 Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren umfasst. Es geht um jene mit bestimmten Vorerkrankungen wie Fettleibigkeit oder chronischen Lungenkrankheiten - und um solche mit stark coronagefährdeten Angehörigen oder Kontaktpersonen. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind bisher mehr als 900 000 Menschen zwischen 12 und 17 mindestens einmal geimpft worden, etwa 20 Prozent dieser Altersgruppe.
Wie bewertet die Stiko das beschlossene Ausweiten des Impfangebots?
Die Entscheidung sei „keine Katastrophe“, ideal gelaufen sei es aber auch nicht, sagte Mertens. Er verweist auf einen Passus in der Impfempfehlung, durch den die Entscheidung gedeckt sei: Demnach ist der Einsatz des Impfstoffs „nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz möglich“. Der Virologe spricht aber auch von „unglücklicher Hektik“ und beklagt Aktionismus der Politik, den er sich auch mit dem kommenden Schulbeginn, dem Überfluss an Impfstoff und den nun nicht mehr ausgelasteten Impfzentren erklärt. Dabei brauche die Stiko nur noch rund zehn Tage für die Aktualisierung ihrer Empfehlung, sagte Mertens.
Heißt das, dass es nächste Woche die generelle Empfehlung geben wird?
Dem Stiko-Chef zufolge ist das bislang keineswegs klar: „Der Ausgang ist offen, wir sind im Prozess der Abwägung.“ Stiko-Mitglied Ulrich Heininger sagte im „Deutschlandfunk“: „Entweder es bleibt wie es ist, oder - und das ist meine persönliche Hoffnung - wir kommen zu einer etwas weiter gefassten Empfehlung.“
Woran hängt die Entscheidung?
Der Stiko geht es nun vor allem noch um die Sicherheit der Impfung: Mertens zufolge fehlen Daten zu möglichen Folgen der Herzmuskelentzündungen, wenngleich der Akutverlauf meist nicht schwerwiegend sei. Diese Herzmuskelentzündungen seien in den USA in etwa einem Fall pro 18 000 Geimpfte aufgetreten. Diese Angabe komme jedoch aus einem System, in dem Betroffene selbst die Beschwerden melden, eine Dunkelziffer ist anzunehmen.
In manchen Fällen hätten die Betroffenen auf die Intensivstation gemusst, aber das genaue Ausmaß sei unbekannt, sagte Mertens: „Diese Zahl hat bisher kein Mensch, auch nicht Karl Lauterbach“. Der SPD-Gesundheitsexperte hatte der Stiko im „Deutschlandfunk“ eine „Außenseiterposition“ attestiert und gesagt, die wesentlichen Studien liefen darauf hinaus, „dass die Durchseuchung mit der Delta-Variante viel gefährlicher wäre als die Impfung, dass die Impfung mittlerweile gut untersucht ist“.
Warum ging die Impfempfehlung für Erwachsene so viel schneller?
Weil Erwachsene im Gegensatz zu Kindern schwerer an Covid-19 erkrankten und der Nutzen der Impfung für den Einzelnen damit klar sei, argumentiert Mertens. Er bekräftigte, dass es laut Modellierungen wichtig sei, zur Pandemiebekämpfung die Impfquote bei den 18-bis 59-Jährigen noch deutlich zu steigern. „Da liegt das Problem, nicht bei den Kindern.“ Es sei entscheidend, den Menschen dieser Altersgruppe deutlich zu machen, dass von ihrer Impfbereitschaft der weitere Verlauf der Pandemie in Deutschland wesentlich abhänge - mit Konsequenzen für das Leben der Einzelnen, der Gemeinschaft und letztlich auch die wirtschaftliche Erholung.
Was sagen Politik und Ärzte?
Spahn verteidigte die geplanten zusätzlichen Impfgelegenheiten. „Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen, den machen wir auch nicht.“ Wenn Eltern und Kinder sagten, dass sie noch auf mehr Daten warten wollten, sei das auch okay und kein Problem. Er wandte sich dagegen, einen Gegensatz zu konstruieren - der Beschluss von Bund und Ländern sei „durchaus im Einklang mit der Stiko“.
Der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske, stärkt der Stiko schon länger den Rücken. Da Infektionen mit Corona bei Kindern und Jugendlichen relativ mild verliefen, sei keine Eile geboten - die eine Woche bis zur Neubewertung könne man in Ruhe abwarten, sagte er nun dem Sender phoenix.