Berlin (dpa)
„Vom Kind aus denken“ will das Familienministerium mit einem neuen Gesetz. So soll es weniger Streit um Pflegekinder geben. Denn Leidtragende sind die emotional hin- und hergerissenen Jugendlichen.
Pflegekinder sollen künftig weniger Trennungsangst und Gefühlsstress durch das Gezerre von leiblichen Eltern, Pflegefamilien und Behörden erleiden müssen. Dies sieht unter anderem ein Gesetzentwurf des Bundesfamilienministeriums vor, den das Kabinett am Mittwoch beschlossen hat. Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz zielt nach Ministeriumsangaben auf eine möglichst konfliktfreie Zusammenarbeit mit leiblichen Müttern und Vätern ab, unterstützt aber auch mehr als bisher die Pflegeeltern.
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch): „Ich finde es kaum zu ertragen, wenn Pflegekinder zurück in ihre Herkunftsfamilien müssen und dort wiederholt schwere Gewalt erleben und in manchen Einzelfällen sogar sterben. Das darf nicht passieren.“ Künftig sollen solche Pflegekinder vor einer erzwungenen Rückkehr zu ihren leiblichen Eltern geschützt sein, wenn sie darunter leiden würden.
Nach Zahlen von 2015 leben in Deutschland mehr als 70 000 Kinder in Pflegefamilien - oft seit der frühesten Kindheit, weil die leiblichen Eltern etwa durch Drogensucht nicht in der Lage sind, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Nach geltender Rechtslage haben diese die Möglichkeit, ihre Kinder zurückzuverlangen, wenn sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen haben und das Kindeswohl nicht gefährdet ist.
Die geplante Neuregelung sieht auch vor, dass Pflegekinder von Beginn an Kontakt zu ihren leiblichen Eltern haben können. Wird ein Kind zur Pflege untergebracht, müssen sich Jugendamt, leibliche Eltern und Pflegeeltern künftig von Anfang an mit der Frage auseinandersetzen, ob das Kind nur vorübergehend oder dauerhaft in der Pflegefamilie leben soll. Familiengerichte sollen die Möglichkeit erhalten, den dauerhaften Verbleib des Pflegekindes anzuordnen. Leitgedanke des Gesetzes sei, „vom Kind aus zu denken“, hieß es aus dem Schwesig-Ministerium.
Beim Kinderschutz soll die Zusammenarbeit von Jugendämtern und Gesundheitswesen verbessert werden, etwa bei Verdacht auf Missbrauch. Es gebe bei Ärzten, aber auch Lehrern und anderen Betreuungspersonen große Unsicherheit, wann das Jugendamt einzuschalten ist. Zudem soll die Kooperation zwischen Ermittlungsbehörden und Justiz mit den Jugendämtern gestärkt werden, um Kinder vor Gewalt zu schützen. In dem Gesetzentwurf ist auch eine bessere Beratung von Kindern und Jugendlichen vorgesehen.
Außerdem soll der Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften gegen alle Formen von Gewalt sichergestellt werden. Träger von Aufnahmeeinrichtungen werden zu Gewaltschutzkonzepten verpflichtet, über deren Umsetzung die Länder wachen müssen. Auch deswegen muss der Bundesrat dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz zustimmen.
Sozial- und Hilfsorganisationen wie Paritätischer Gesamtverband, Deutscher Kinderschutzbund und Pro Asyl sehen in dem Gesetzentwurf eine „Diskriminierung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge“. Sie kritisieren, den Ländern solle die Möglichkeit gegeben werden, „die Standards bei der Aufnahme und Betreuung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen abzusenken“. Damit würden „Kinder und Jugendliche minderen Rechts geschaffen“, sagte der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers.
Das Bundesministerium wies diesen Vorwurf zurück: „Es ist falsch, dass mit der vorgeschlagenen Neuregelung ein Zwei-Klassen-Recht in der Kinder- und Jugendhilfe eingeführt werden soll.“ Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssten „wie bisher genau die geeignete Leistung erhalten, die sie benötigen. Die Zugänge für unbegleitete ausländische junge Menschen zu Schutzmaßnahmen und Unterstützungsleistungen bleiben unverändert.“ Allerdings sollten die Länder künftig mehr Mitsprache erhalten.