Berlin (dpa)
Eine neue Variante des Coronavirus macht Experten nervös. Sie könnte es schwieriger machen, die Pandemie einzudämmen. Werden in den kommenden Monaten härtere und länger andauernde Maßnahmen nötig sein? Klar ist: Ohne hohe Fallzahlen entstünden solche Erreger seltener.
Es sind minimale Veränderungen im Erbgut, doch die haben es in sich: Bestimmte neue Varianten des Coronavirus Sars-CoV-2 verbreiten sich schneller als die anfangs kursierenden. Die Folge: mehr Infizierte, mehr Kranke, eine höhere Belastung des Gesundheitssystems, mehr Tote. Für Europa ist derzeit vor allem die zuerst in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7 relevant. Wird es fortan noch härtere und länger andauernde Maßnahmen als bisher schon geben müssen, um die Fallzahlen zu drücken?
„Das ist zu befürchten“, sagt Friedemann Weber vom Institut für Virologie der Universität Gießen. Eine gefährliche Phase stehe bevor: „Wir befinden uns in der winterlichen Blütezeit respiratorischer Erkrankungen, und nun sattelt noch diese Variante drauf.“ Zwar wurde B.1.1.7 bisher nur vereinzelt in Deutschland nachgewiesen. „Die Dunkelziffer dürfte aber hoch sein.“
Hierzulande wird das Virus-Erbgut von Corona-Infizierten nur selten entziffert. „Das macht niemand so gut wie die Briten das machen“, erklärt Weber. Es sei aus diesem Grund auch gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Variante in einem anderen Land entstand und in Großbritannien nur zum ersten Mal auffiel. Immer mehr Länder weltweit melden derzeit, B.1.1.7 ebenfalls nachgewiesen zu haben.
Bei Viren gibt es stetig zufällige Veränderungen im Erbgut, Mutationen genannt. Manche verschaffen dem Erreger Vorteile - etwa, indem sie ihn leichter übertragbar machen. Neben B.1.1.7 wurde im Dezember eine recht ähnliche Variante bekannt: 501Y.V2 in Südafrika. Die gute Nachricht: Fachleute gehen derzeit nicht davon aus, dass diese Erreger unempfindlich gegen die bislang zugelassenen Corona-Impfstoffe sind.
Für B.1.1.7 wird auch kein schwererer Krankheitsverlauf angenommen. Allerdings gilt als weitgehend gesichert, dass sich die Variante deutlich schneller verbreitet als frühere Formen. Forschern um Erik Volz vom Imperial College London zufolge liegt bei B.1.1.7 der sogenannte R-Wert unter den Bedingungen vor Ort um 0,4 bis 0,7 höher. Der Wert gibt an, wie viele weitere Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt. Bei einem R-Wert von 1 stecken 100 Infizierte 100 weitere Menschen an - bei einem R-Wert von 1,7 sind es mit 170 wesentlich mehr.
In Deutschland liegt der R-Wert dem Robert Koch-Institut zufolge momentan um 1. Es scheine anhand der verfügbaren Daten wahrscheinlich, dass B.1.1.7 bald auch hierzulande die dominierende Variante sein werde, erklärt der Virologe Jörg Timm von der Uniklinik Düsseldorf. „Ich halte eine Senkung der Fallzahlen grundsätzlich für eine nachhaltige Infektionskontrolle für notwendig. Wenn die Daten zur erhöhten Ansteckungsfähigkeit der neuen Variante stimmen - und davon gehe ich aus - dann wird die Aufgabe sicherlich schwieriger.“
Weil sich die Variante schneller ausbreite, müssten Maßnahmen strenger sein, um den gleichen Effekt bei der Eindämmung zu erzielen, erklärt Adam Lauring, Experte für die Evolution von RNA-Viren an der US-amerikanischen Universität Michigan, in einem Podcast. „Wir müssen besser bei den Maßnahmen werden, um das Virus zu kontrollieren. Falls nicht, werden wir mehr Corona-Fälle sehen.“ Das bedeute dann auch mehr schwere Erkrankungen und mehr Tote.
Umgekehrt gilt: Wären die in Europa, den USA und anderen Ländern immens hohen Infektionszahlen besser eingedämmt worden, hätte es den neuen Erreger vielleicht nie gegeben. Insbesondere Varianten mit einem komplexen Mutationsmuster wie bei B.1.1.7 seien erst einmal selten, erklärt Timm. Bei hohen Infektionszahlen nehme aber die Wahrscheinlichkeit zu, dass sie entstehen und aufgrund eines Selektionsvorteils verbreitet werden. „Daher können auch aus dieser Sicht hohe Infektionszahlen für den Pandemieverlauf problematisch sein.“
Auch Weber betont: „Die Entstehung solcher Varianten resultiert daraus, dass so viel Virus unterwegs ist. Mutanten werden immer eher aus Ländern mit hohen Fallzahlen kommen.“ Auch aus diesem Grund sei es wichtig, die Zahl der Neuinfektionen so gering wie möglich zu halten. „Und es zeigt einmal mehr, wie wichtig die Impfungen sind.“ Auch Timm sagt: „Das Ziel einer erfolgreichen Impfung für die Weltbevölkerung hat oberste Priorität. Die mögliche Gefahr einer Verbreitung von neuen Varianten unterstreicht das noch einmal.“