Gütersloh (dpa)
Wenn das nahegelegene Krankenhaus nicht mehr jede Operation anbietet, laufen Patienten und Ärzte oft dagegen Sturm. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung macht die Spezialisierung aber Sinn: Die Behandlungsqualität steigt nachweislich und weniger Menschen sterben.
Spezialisieren sich Krankenhäuser auf bestimmte Eingriffe, führt das laut einer Studie zu weniger Todesfällen und Komplikationen bei planbaren Operationen. Gleichzeitig erhöhen sich die Anfahrtszeiten für Patienten im Schnitt nur um wenige Minuten, wenn nicht in jedem Krankenhaus das gleiche Angebot vorgehalten wird.
Das ist das Ergebnis einer Bertelsmann-Studie, die am Donnerstag in Gütersloh vorgestellt wurde. So könnten im Jahr rund 140 Todesfälle bei Hüftoperationen vermieden werden, wenn diese Eingriffe nur von Häusern mit mehr Erfahrung gemacht würden.
Die Berechnung in der Studie setzt mehr als 176 Operationen pro Jahr als Maßstab. In Deutschland wurden 2014 Hüftoperationen in 311 Kliniken vorgenommen, die weniger als 50 Eingriffe dieser Art verzeichneten. Bei Prostata-Entfernungen spricht die Bertelsmann-Stiftung von gefährlich niedrigen Fallzahlen. Von den 414 deutschen Kliniken, die diese Operation im Angebot haben, nehmen 43 diesen Eingriff seltener als fünfmal im Jahr vor. Die Folge bei einem Fehlschlag: Patienten drohen Impotenz und Inkontinenz.
Laut Studie erhöhte sich die durchschnittliche Anfahrtzeit für Patienten bei einer stärkeren Konzentration auf spezialisierte Kliniken nur um zwei bis fünf Minuten. „Den Bürgern muss bewusst werden, dass sie bei planbaren Operationen in Fachabteilungen mit vielen Fällen und viel Erfahrung die bessere Versorgung bekommen“, sagt Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Die Patienten müssten die Möglichkeit haben zu entscheiden, ob ihnen niedrigere Komplikationsraten ein paar Minuten mehr Fahrtzeit wert sind.
„Vor allem in Ballungsräumen mit heute hoher Krankenhausdichte können Patienten die höhere Qualität durch Spezialisierung quasi ohne Fahrzeitenverlängerung bekommen“, so Mohn. Das gelte natürlich nicht für eher ländliche Gebiete, schränkt Studienautor Jan Böcken im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur ein.
Die Wissenschaftler haben verschiedene Modelle durchgerechnet, um aufzuzeigen, wie sich Mindestmengen bei Operationen auf die durchschnittliche Anfahrtszeit auswirken. So verlängert sich die Fahrtzeit bei Hüftprothesen von 9 auf 11 Minuten. Bei Prostata-Eingriffen steigt der Wert im Schnitt von 15 auf 17 bei einer niedrigen und auf 20 Minuten bei einer höheren Mindestmenge.
Nur wenig mehr müssen Patienten bei Herz-Bypass-Operationen einplanen: Statt 26 sind es 27 bzw. 28 Minuten. Bei Herzklappen-Katheter-Eingriffen steigt die durchschnittliche Anfahrtszeit von 23 auf 25 Minuten. Bei einer höheren Mindestmenge sind es 27 Minuten.
Studienautor Böcken sieht bei der Mindestmenge ein schwieriges Spannungsfeld. „Das Motto bei Operationen muss lauten: Weniger ist mehr. Wenn Krankenhäuser sich spezialisieren und ja dann eigentlich ein Interesse an höheren Fallzahlen haben, muss dennoch die Frage im Vordergrund stehen, ist die OP erforderlich?“, sagt Böcken. Deswegen müsse mehr Wert gelegt werden auf die hohe Qualität bei der Entscheidung über den Eingriff.
Weiteres Ergebnis der Studie: Eine stärkere Spezialisierung führt nicht zwangsläufig zu einem Kliniksterben. Zwar werde sich die Zahl der Fachabteilungen, die auch operieren, verringern. Durch Kooperationen von Häusern könnten Leistungen aber effizienter erbracht werden, so die Autoren. Auch die Grund- und Notfallversorgung sei nicht betroffen, wenn die Spezialisierung auf planbare Eingriffe beschränkt werde.