Köln/Berlin (dpa)
Seit Jahren streiten Experten über den Einsatz von Gen-Tests bei Brustkrebs. Die Biomarker sollen bei der Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie helfen. Wie sicher sind die teuren Tests - und sollen die Kassen sie bezahlen? Ein Gutachten befeuert den Streit.
Brustkrebs ist eine niederschmetternde Diagnose und die Aussicht auf eine Chemotherapie mit ihren akuten und langfristigen Nebenwirkungen macht Patientinnen Angst. Die Heilungschancen sind im Vergleich zu anderen Krebsarten vergleichsweise gut. Etwa 80 Prozent der Betroffenen werden nach heutigem Ermessen wohl keinen Rückfall (Rezidiv) erleiden, zum großen Teil auch ohne Chemotherapie. Diese soll Mikrometastasen ausschalten und eine Wiederkehr des Krebses verhindern. Doch welche der 70 000 Frauen, die jährlich in Deutschland an Brustkrebs erkranken, können auf die Strapazen einer Chemotherapie nach der Tumoroperation verzichten?
Die Antwort auf diese Frage ist laut Experten bei grob geschätzt 20000 Patientinnen nicht so einfach. Die Hoffnung: Sogenannte Genexpressions-Tests, die die Aktivität von Genen im Tumorgewebe messen, könnten bei der Entscheidung helfen.
Vier dieser Tests sind seit einigen Jahren in Deutschland auf dem Markt. Hersteller, Ärzte und Patientinnen kämpfen darum, dass die Krankenkassen die Test-Kosten für die Patientinnen erstatten. Der Preis liegt zwischen 1800 und 3200 Euro und damit unter den Kosten für eine Chemotherapie im vier- bis fünfstelligen Bereich. Über verschiedene Modelle und Kassen werden die Test-Kosten teilweise übernommen.
Doch damit das für alle gesetzlich versicherten Frauen gilt, muss der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in Berlin darüber entscheiden. Um Aussagen über die Tests zu bekommen, hatte das Gremium das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im April 2014 mit einer Auswertung der vorliegenden Studien beauftragt.
Ihren Bericht legten die IQWiG-Experten nun am Montag vor - allerdings beurteilten sie nur eine einzige Studie: die MINDACT-Studie, die sich mit dem „MammaPrint“-Test beschäftigt. Bei den anderen Studien war ihnen die Datenlage nicht gut genug. Die Statistiker wollten herausfinden, ob die Tests in der Lage sind, sicher jene Frauen zu identifizieren, die auf eine Chemotherapie verzichten können. Ob diese Tests also einen Zusatznutzen zur herkömmlichen Risiko-Einteilung bringen. Das Risiko schätzen Mediziner klassisch in erster Linie über klinische Werte wie Alter, Zahl der betroffenen Lymphknoten, Tumorgröße und pathologische Untersuchungen des Gewebes ab.
Mit dem „MammaPrint“ wird ein Aktivitätsprofil aus 70 Genen ermittelt. Daraus wird ein niedriges oder hohes Risiko für die Bildung von Fernmetastasen abgeleitet. In der MINDACT-Studie erhielten fast 7000 Frauen den Test zusätzlich zu einer Risikoeinschätzung nach klinischen Parametern. Bei fast der Hälfte der Frauen (46 Prozent) mit hohem klinischem Risikowert ergab der Test einen niedrigen genetischen Risikowert. Diese Frauen wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt, nur eine Gruppe erhielt eine Chemotherapie. Die Ergebnisse waren im Sommer im „New England Journal of Medicine“ vorgestellt worden.
Die MINDACT-Autoren ermittelten, dass 95,9 Prozent der Frauen in der Chemotherapie-Gruppe nach fünf Jahren keine Fernmetastasen hatten - im Gegensatz zu 94,4 Prozent in der Gruppe ohne Chemotherapie. Der Unterschied von 1,5 Prozentpunkten ist nicht statistisch signifikant, könnte aber wegen der Unsicherheit aufgrund der beschränkten Teilnehmerzahl auch bis zu knapp vier Prozent betragen.
Das Institut leitete aus der Analyse zusätzlich noch andere Daten ab:
Wenn 1000 Frauen aufgrund eines niedrigen Biomarker-Testergebnisses auf eine Chemotherapie verzichten, sei mit 32 zusätzlichen Rezidiven einschließlich 11 Todesfällen zu rechnen. Aufgrund der Unsicherheit der Datenlage könnten es auch 61 Rezidive und 26 Todesfälle sein.
Doch stehen diesem leicht höheren Risiko für ein Rezidiv deutliche gesundheitliche Vorteile gegenüber? Das könne die Studie nicht beantworten, hieß es beim IQWiG. Die Daten zu Nachteilen von Chemotherapien seien leider insgesamt sehr vage. Es gebe lediglich Schätzungen, wonach etwa zwei, drei Prozent der Chemotherapien zu Schäden an Herz, Nieren oder anderen inneren Organen bis hin zum Tod führen.
Die Ergebnisse der MINDACT-Studie ließen darauf schließen, dass das Testprinzip grundsätzlich funktioniere. Aber sonst ist das Gesamturteil des IQWiG ernüchternd: „Gegenwärtig kann man einer Frau mit klinisch hohem und genetisch niedrigem Risiko nicht guten Gewissens von einer Chemotherapie abraten.“ Für eine fundiertere Einschätzung bedürfe es der Zehn-Jahres-Daten, denn viele Metastasen fernab der betroffenen Brust träten erst nach der ersten Fünf-Jahres-Spanne auf.
Laut den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO Mamma) sollten die Tests derzeit nur bei ausgewählten Patientinnen angewandt werden, wenn alle anderen Kriterien keine Therapieentscheidung zulassen. Aber: „Die Arbeitsgruppe ist wie andere Gruppen weltweit der Meinung, dass der Einsatz sinnvoll sein kann“, sagte der Sprecher der AGO Mamma, der Ulmer Gynäkologe Wolfgang Janni, der dpa.
Doch warum sind die Tests überhaupt schon auf dem Markt, warum zeigen Studien jetzt erst, dass ihr Nutzen noch gar nicht belegt ist? „Das liegt daran, dass die Zulassung von Diagnostika in Deutschland und Europa weit weniger reguliert ist als die von Arzneimitteln“, sagt der Gynäkologe Rolf Kreienberg. „Wir haben jetzt folgende Situation:
Seit Jahren sind die Gentests erhältlich und Ärzte setzen sie ein, und jetzt kommen Prüfgremien und sagen, die Studienlage und das Design der Studien reicht nicht aus, um ihren Nutzen zu beurteilen. Wir kommen eigentlich viel zu spät.“
Kreienberg ist Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und für die Aktualisierung einer Leitlinie zu Brustkrebs mitverantwortlich, zudem war er externer Sachverständiger für den IQWiG-Bericht.
Der G-BA muss sich nicht an die Bewertung des IQWiG halten. Bis der Aussschuss eine Entscheidung über die Kostenerstattung trifft, müssen sich Patientinnen und Ärzte noch gedulden: Nach Auskunft des Gremiums sind für die weiteren Beratungen noch einmal eineinhalb Jahre zu veranschlagen.