Berlin (dpa)
Doppelpass, PKW-Maut, Ökostrom-Grenzen - vieles ist zwischen Union und SPD auf der Zielgerade ihrer Verhandlungen strittig. Dazu kommt die Frage, wer ein drohendes Milliardenloch der Krankenkassen füllt. Die SPD bläst die Backen auf.
Bis zu 360 Euro müssten viele gesetzlich Versicherte in drei, vier Jahren jährlich zusätzlich direkt an ihre Krankenkassen überweisen. 30 Euro Zusatzbeitrag würden einige Kassen dann wohl monatlich verlangen. Mit diesem Szenario wartet Karl Lauterbach, SPD-Verhandlungsführer für Gesundheit, in der Nacht zum Montag nach sechsstündigen Verhandlungen mit der Union auf. "Diese Krankenkassen würden entweder in die Insolvenz gehen oder sie müssten notfusioniert werden." Also müssten die Zusatzbeiträge weg.
Baff - das klingt nach harter Gangart, nach den selbstbewussten Tönen von Parteichef Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag in Leipzig.
Der SPD-Gesundheitsexperte beansprucht für sich: Ihm geht es um die kleinen Rentner mit Geldsorgen, um soziale Balance, um sozialdemokratische Kernanliegen.
Kaum jemand dachte mehr an die ungeliebten Aufschläge, die Kassen in Not von ihren Mitgliedern nehmen können. Zwar sind die Reserven der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im ersten Halbjahr leicht gesunken, aber 27,7 Milliarden Euro waren es zuletzt noch. Aufschläge zulasten allein der Versicherten waren schlicht kein Thema mehr. Doch wegen steigender Ausgaben, seit 2009 waren es rund 15 Prozent je Versicherten, rutscht die GKV nach offizieller Erwartung ab 2015 wieder ins Minus. 2017 droht ein zweistelliges Milliardenloch.
Wer soll das füllen? Im Endspurt ihrer Verhandlungen legen Union und SPD einen zuletzt verdeckten Graben wieder frei. Jens Spahn, der Unionsverhandlungsführer, macht deutlich, worum es seiner CDU geht: um lohnunabhängige Zusatzbeiträge als Schutz für die Wirtschaft. "Wir halten das für das richtige Finanzierungsinstrument, weil es steigende Gesundheitskosten entkoppelt vom Arbeitsmarkt."
Eingeführt wurden die Zusatzbeiträge unter SPD-Ministerin Ulla Schmidt als Erfindung der großen Koalition. Veränderungen des Konstrukts verbuchte dann FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler als seinen Erfolg: Eine Obergrenze für die Pauschale entfiel, ein komplizierter Sozialausgleich aus Steuermitteln wurde eingeführt.
Der Praxistest löste aber heftige Verwerfungen aus. Sommer 2011: Damals ging die kleine City BKK bankrott. Grund: Akute Geldnot, Zusatzbeiträge hatten Versicherte reihenweise in die Flucht geschlagen. Wider alle Vorschriften ließ die Konkurrenz die ungeliebten Versicherten der Pleitekasse zunächst auflaufen, statt sie zu aufzunehmen. Für Lauterbach sind Zusatzbeiträge Teufelszeug.
"Das ist der Einstieg in ein System der Kopfpauschalen." Er beharrt auf einer Bürgerversicherung, auf fallende Grenzen zwischen GKV und Privatkassen, zumindest ansatzweise - Spahn lehnt das entschieden ab.
Es sind keine dramatischen, keine lauten, eher zermürbende Verhandlungen zu Gesundheit im luftigen Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Die Politiker der Arbeitsgruppe sitzen nicht nur in ihrem kreisrunden Verhandlungssaal. Lauterbach und Spahn versinken immer wieder lange im Vier-Augen-Gespräch in den wenig bequemen Ledersofas im Foyer. Dann sausen gläserne Aufzüge hoch und runter, die roten und schwarzen Verhandler verschwinden zu getrennten Runden. Ergebnisse? Fehlanzeigen, meint eine SPD-Frau frustriert.
Dem Vernehmen geht es um weitreichende Details: Die SPD will, dass die Zusatzbeiträge nicht mehr als fester Eurobetrag pro Monat erhoben werden. Würden die Kassen in unterschiedlichen Prozentsätzen statt pauschal nach oben gehen können, müssten Geringverdiener weniger zahlen - und der Sozialausgleich wäre überflüssig. Eine andere Kernfrage: Bleiben die Arbeitgeber weiter außen vor bei der Finanzierung künftiger Kostensteigerungen?
Ein Koppelgeschäft kommt ins Gespräch: Zusatzbeiträge in heutiger Form weg - die von der Union gewollte Kapitalreserve in der Pflegeversicherung her. Doch es bringt kein Ergebnis.
Wahrscheinlich läuft es an diesem Montag ähnlich bei der wohl letzten Runde der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit, und die Kernfragen bleiben ungelöst - die Parteichefs von Union und SPD bekommen dann ein weiteres Problem auf ihren Tisch.