Berlin (dpa)
Trotz aller politischer Versprechen für die Pflege ist die Stimmung in der Branche im Keller. Und die Aufgaben wachsen noch. Zu spüren bekommen dürften das die Beitragszahler.
Frust in der Pflege, explodierende Kosten: Die steigende Zahl der Pflegebedürftigen setzt die Fachkräfte immer stärker unter Druck und treibt die Beiträge in die Höhe. Bereits in den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Empfänger von Pflegeleistungen auf zuletzt rund 3,3 Millionen verdoppelt, und sie wird weiter wachsen - bis zum Jahr 2045 auf rund fünf Millionen Menschen. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Mittwoch veröffentlichte Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Deshalb muss der Beitragssatz der Pflegeversicherung der Studie zufolge bis zum Jahr 2045 von 3,05 auf 4,25 Prozent steigen. Das wären für ein heutiges Durchschnittseinkommen fast 550 Euro mehr im Jahr, teilte die Stiftung mit. Eingerechnet dabei ist, dass es mehr Pflegekräfte geben soll und diese auch besser als heute bezahlt werden sollen.
Bereits Anfang 2019 war der Beitragssatz um 0,5 Prozentpunkte angehoben worden. Bis 2022 dürfte laut Studie das Geld somit reichen. Doch ab 2025 wachsen die Ausgaben laut der Prognos-Erhebung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung weiter, ohne dass die Einnahmen entsprechend in die Höhe gehen. Eine der wichtigsten Ursachen für den Kostenanstieg ist der Studie zufolge die Alterung der Bevölkerung.
Studienleiter Stefan Etgeton mahnte laut einer Mitteilung: „Zur nachhaltigen Sicherung der Pflege bedarf es zusätzlicher Maßnahmen.“ Er habe vor allem die Sorge, „dass die für die Versorgung in der Altenpflege benötigten Fachkräfte nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen“. Neben besserer Bezahlung und Personalausstattung gehe es den Pflege-Beschäftigten vor allem um arbeitnehmerfreundlichere Bedingungen, den Ausbau und die Anerkennung ihrer Kompetenzen und um selbstbestimmtes Arbeiten.
STIMMUNG HEUTE:
Derzeit ist die Stimmung in der Pflegebranche eher pessimistisch. So beurteilten im vergangenen Jahr etwa 29 Prozent der Befragten die Qualität der Pflege nur als „mangelhaft“ (2017: 24 Prozent). Zu diesem Ergebnis kommt der sogenannte Care-Klima-Index, eine Umfrage unter Pflegekräften, Ärzten, Pflegebedürftigen, Angehörigen sowie Vertretern von Kassen und Verbänden, den der Deutsche Pflegetag in Berlin vorstellte. Der Index wird seit 2017 erhoben.
„Es hat sich seit der letzten Befragung gezeigt, dass die Stimmung in der Pflege abgekühlt ist“, sagte die Leiterin des Forschungsprojekts, Stephanie Hollaus. Obwohl das Thema Pflege im vergangenen Jahr viel diskutiert wurde, finden laut der Studie 74 Prozent der Befragten, dass dem Bereich in der Politik nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird (2017: 69 Prozent). Auch die Arbeitsbedingungen werden von 60 Prozent der Befragten als schlecht eingestuft (2017: 51 Prozent).
Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, betonte, die Pflege stehe oben auf der politischen Agenda - die bereits verabschiedeten Gesetze würden dies belegen.
REFORMEN:
Am 1. Januar war ein Maßnahmenpaket in Kraft getreten, das die Personalnot in der Pflege lindern sollte. Das Gesetz von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht unter anderem vor, 13 000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege zu schaffen. Außerdem sollen sich die Arbeitsbedingungen, die Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf sowie die Bedingungen für die Pflege zu Hause verbessern. „Das war der erste notwendige Schritt“, sagte Westerfellhaus. Man arbeite daran, dass dieses neue Gesetz jetzt schnell umgesetzt werde. Aber:
„Ein Sofortprogramm hat es nun mal in sich, dass es nicht ein Resultat liefert für die nächsten 30 Jahre.“ Es handle sich um einleitende Maßnahmen.
REAKTIONEN UND KRITIK:
Die Krankenkassen forderten ein Umdenken bei der Pflege-Finanzierung. „Die Einführung eines steuerfinanzierten Bundeszuschusses für die Pflegeversicherung wäre der richtige Schritt, um die Pflege in diesem Land gerechter zu finanzieren“, sagte Gernot Kiefer vom Vorstand des Kassen-Spitzenverbandes. Die Grünen pochen darauf, dass sich alle Bürger nach ihren finanziellen Möglichkeiten beteiligen und alle Einkommensarten herangezogen werden - durch eine Bürgerversicherung, wie die Grünen-Pflegeexpertin Kordula Schulz-Asche sagte. Auch Linken-Vorsitzender Bernd Riexinger forderte ein neues Finanzierungsmodell, um die Belastungen nicht einseitig zu verteilen. „Dabei würden nach den Vorstellungen der Linken alle in eine gemeinsame Kasse einzahlen, alle Einkommensarten würden berücksichtigt“, sagte Riexinger.
Als ein Fass ohne Boden sieht die pflegepolitische Sprecherin der FDP, Nicole Westig, die Pläne von Bundesgesundheitsminister Spahn. „Das umlagefinanzierte System ist alleine nicht zukunftsfähig“, warnt Westig. Die FDP fordere zusätzlich den Aufbau einer kapitalgedeckten Pflegefinanzierung.