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OSTEOPATHIE BEI BABYS - SINNVOLL ODER ÜBERFLÜSSIG?

Viele Eltern von Säuglingen schwören auf Osteopathie, etwa wenn ihr Baby viel schreit oder schlecht schläft. Doch wie gut und wem hilft die sanfte Behandlungsform wirklich?

Berlin (dpa)

Viele Eltern von Säuglingen schwören auf Osteopathie, etwa wenn ihr Baby viel schreit oder schlecht schläft. Doch wie gut und wem hilft die sanfte Behandlungsform wirklich?

„Eigentlich müsste jedes Baby nach der Geburt zum Osteopathen“: Sätze wie diesen hören junge Eltern mitunter von Hebammen. Zum Beispiel, wenn Kinder viel schreien oder schlecht schlafen. Auch manche Kinderärzte empfehlen die Alternativmedizin, und viele Eltern schwören auf die als ganzheitlich geltende Behandlungsform. Doch unter Fachleuten gibt es Kritiker. Und nicht alle Eltern machen gute Erfahrungen.

Sumeika Hoffmann aus Stuttgart ist überzeugt von der Osteopathie. „Ich war mit allen drei Mädels nach der Geburt bei einer Osteopathin. Besonders beeindruckt war ich bei meiner zweiten Tochter. Sie brauchte immer ewig, bis sie die Brust richtig zu fassen bekam - eine Behandlung und zack, ab sofort lag sie beim ersten Anlegen richtig dran“, erzählt sie. „Osteopathen haben etwas von Wunderheilern. Ich weiß, dass es viele Skeptiker gibt, aber ich glaube, dass es wirkt.“ 

„Wir waren bei einer Osteopathin, weil unser Sohn als Baby eine bevorzugte Seite hatte, und die Kinderärztin es empfohlen hat“, berichtet eine andere Mutter aus Trier. „Ich konnte damit nicht viel anfangen und als mir die Osteopathin dann noch erklärt hat, dass man an seiner Kopfform seine zukünftige Persönlichkeit ablesen könne, wurde es mir zu esoterisch.“

Eine Physiotherapeutin habe ihr helfen können. „Da konnte ich auch besser nachvollziehen, was sie gemacht hat, weil sie mir das wissenschaftlich anhand von Muskeln und Sehnen erklärt hat, während die Osteopathin nur von Blockaden und Geburtstraumata gesprochen hat“, so die Mutter.

Osteopathen behandeln ausschließlich mit den Händen. Nach der Lehre, die auf den US-Amerikaner Andrew Taylor Still (1828-1917) zurückgeht, entstehen Krankheiten und Störungen oft dadurch, dass der Körper die Fähigkeit zur Selbstregulierung verliert. Jedes Körperteil, jedes Organ benötige ausreichende Bewegungsfreiheit. Ziel osteopathischer Behandlungen sei es, Blockaden und Gewebespannung zu lösen und die Beweglichkeit wiederherzustellen, heißt es vom Verband der Osteopathen Deutschland (VOD).

Hierzulande hat sich die Osteopathie seit Ende der 1980er Jahre etabliert. Der VOD als größter Berufsverband hat mehr als 5100 Mitglieder. Weder Beruf noch Ausbildung sind staatlich anerkannt. Mehr als zwölf Millionen Bundesbürger hätten sich bereits von einem Osteopathen behandeln lassen, erklärt der VOD mit Verweis auf eine Forsa-Umfrage.

Auch die Ärztin und Autorin Natalie Grams war selbst und mit ihrem Kind vor Jahren in osteopathischer Behandlung. Inzwischen gehört sie zu den Kritikern. Für ihr Buch „Was wirklich wirkt“ (2020) hat sie sich mit Wirkungsnachweisen von sanfter Medizin beschäftigt. Ihr Fazit für die Osteopathie: „Mit der Ausnahme von bestimmten Rückenschmerzen gibt es so gut wie keine Belege für eine positive Wirkung einer osteopathischen Behandlung, gerade bei Kindern nicht.“

„Es gibt Verfahren, die sich an der Anatomie von Organen und dem Skelett orientieren und manuelle Physiotherapie machen. Wenn man zum Beispiel bei Babys mit angeborenem Schiefhals einen Muskel dehnt, ohne Gewebe zu verletzen, kann man noch sagen: Ja, das ist sinnvoll“, räumt Grams ein. „Wenn ich eher dem viszeralen Bereich der Osteopathie anhänge, dann sehe ich diesen verkürzten Muskel als Ausdruck einer inneren Blockade, dass der Blutfluss in dem Muskel gestört ist und die Selbstheilung des Körpers dadurch dereguliert wird. Dafür gibt es keinen Beleg.“

Einige Diagnosen, die bei Kindern gestellt würden, seien zumindest fragwürdig, etwa Dreimonatskoliken. „Das ist keine Diagnose in der Medizin. Und das KiSS-Syndrom ist erfunden“, sagt Grams über die sogenannte Kopfgelenk-induzierte Symmetrie-Störung.

„Wir sitzen seit Jahren mit dem Berufsverband der Osteopathen an einem Tisch und fordern Studien, die belegen, dass die Behandlungen wirken“, sagt der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Jakob Maske. „Wir sind keine Kämpfer gegen die Osteopathie. Es gibt einige gute manuelle Therapeuten, die machen gute Arbeit“, betont er. Doch der BVKJ wehre sich dagegen, jedem Kind eine Krankheit zu attestieren, damit es eine Therapie bekomme.

„Anders als beschrieben, existieren gute Studien, die die Wirksamkeit der Osteopathie im pädiatrischen Bereich belegen. Auch die Behauptung, man könne bei Schreibabys und Dreimonatskoliken therapeutisch grundsätzlich nichts tun, läuft ins Leere“, heißt es in einer Stellungnahme des VOD zur Kritik von Natalie Grams.

 

Es gebe großes Potenzial im Bereich der osteopathischen Forschung, sagt die VOD-Vorsitzende Marina Fuhrmann. „Eine vom VOD breit unterstützte Studie hat ergeben, dass Osteopathie bei den fünf häufigsten Problemen, mit denen Eltern zum Osteopathen gehen - Schlaf- und Fütterungsstörungen, exzessives Schreien, ein abgeflachter Hinterkopf und Säuglingsasymmetrien -, zu einer Besserung zwischen 50 und 80 Prozent führt.“ Für die Studie seien Eltern von rund 1200 Säuglingen befragt worden.

Unruhe, ein verbeulter Schädel, Schreien, Trinkvorlieben, Sabbern, kurze Schlafphasen - das alles gehöre zum normalen Baby-Dasein, sagt Grams dagegen. „Es ist für sich genommen kein behandlungsbedürftiger Zustand. Wer das behauptet, ist bestenfalls unwissend besorgt, schlimmstenfalls möchte die Person mit der durchaus fordernden Phase der frühen Kindheit Geld verdienen.“

Der Kinderarzt Stephan Heinrich Nolte aus Marburg kritisiert, in Geburts- und Kinderkliniken werde heutzutage viel zu wenig auf den manuellen Umgang mit dem Säugling und eine wechselnde Lagerung der Babys, auch in Bauchlage, geachtet. Vielmehr werde die ausschließliche Rückenlage empfohlen - eine Ursache für einen späteren Liegeschaden oder eine Asymmetrie, weil die Säuglinge nicht in der Mittellinie liegen blieben und eine Vorzugshaltung entwickelten. Das werde dann häufig von Osteopathen behandelt.

Man benötige keinen Osteopathen, sondern eine bessere Anleitung im Umgang mit Neugeborenen, um früh gegenzusteuern. Das spare später eine teure Therapie, so Nolte. „Die Ärzte haben das "be-Hand-eln", das Hand anlegen, verlernt und das entstandene Vakuum anderen überlassen.“

Eine Behandlung beim Osteopathen kostet laut Fuhrmann zwischen 60 und 150 Euro. Etwa 90 Prozent der Krankenkassen zahlen Zuschüsse, darunter die AOK Nordost. „Seit der Einführung der Satzungsleistung Anfang 2019 haben über 13 000 Versicherte dieses Angebot genutzt, davon waren rund 2400 Kinder im Alter von 0 bis 2 Jahren. Der Trend geht dabei deutlich nach oben“, berichtet eine Sprecherin.

Ein ähnliche Entwicklung registriert die DAK: „2018 verzeichneten wir in der Altersgruppe der 0- bis 5-Jährigen rund 4900 Erstattungen, 2019 waren es knapp 8900. Das entspricht einer Steigerung von über 80 Prozent“, so Referent Stefan Suhr. Bei der Barmer seien die Ausgaben für Osteopathie bei Neugeborenen von rund 80 000 Euro im Jahr 2017 auf rund 757 000 Euro im Jahr 2019 gestiegen, sagt ein Sprecher.

Inzwischen werden die Zahlungen zum Teil wieder eingeschränkt, etwa bei der TK. Die bot 2012 als erste Kasse eine teilweise Erstattung an. Sie übernahm 80 Prozent der Kosten für maximal sechs osteopathische Behandlungen in einem Kalenderjahr. Derzeit beteiligt sie sich nur noch an höchstens drei Sitzungen pro Jahr.

 

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