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„Menschen, die geschützt werden müssen“ - Pflege für kranke Obdachlose

Für ältere und kranke Obdachlose ist das Leben auf der Straße besonders gefährlich. In Hamburg kommen einige nun in einem früheren Seniorenheim unter. Auch andere Städte erproben solche Wohnprojekte.

Hamburg (dpa)

Noch sind die Polstersessel leer, die höhenverstellbaren Pflegebetten auch. Das frühere Seniorenheim im Hamburger Stadtteil Niendorf wartet auf neue Bewohnerinnen und Bewohner - und die werden hier schon bald einziehen: Die Sozialbehörde eröffnet eine Pflegeeinrichtung für schwer kranke, obdachlose Menschen. Sie sollen eine Grundversorgung erhalten, auch wenn sie keine Pflegeversicherung vorweisen können. Ein vergleichbares Wohnprojekt gibt es in der Hansestadt nicht. Die Versorgung alternder Wohnungsloser ist eine Herausforderung, auch in anderen deutschen Großstädten.

„Der Gesundheitszustand älterer wohnungsloser Menschen ist von ihren besonderen Lebensumständen geprägt und wird durch diese deutlich verschlimmert“, sagt Sabine Bösing, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) in Berlin. Mangelnder Schutz vor der Witterung, begrenzte Ruhe- und Hygienemöglichkeiten sowie einseitige Ernährung belasteten die Menschen körperlich und psychisch. Hinzu kämen Gewalterfahrungen.

„Viele Wohnungslose im mittleren Lebensalter sind deutlich vorgealtert und leiden an mehreren Erkrankungen. Sie sind gesundheitlich weniger belastbar und damit anfälliger für Erkrankungen, Behinderungen oder Stürze“, erläutert Bösing.

Ein „Diagnosen-Potpourri“ brächten die Menschen mit, sagt Katrin Wollberg, zuständige Bereichsleiterin beim Hamburger Sozialunternehmen Fördern und Wohnen. Viele von ihnen seien mobilitätseingeschränkt. Die Räume im Winternotprogramm in Hammerbrook, wo sie bisher betreut würden, sind nicht barrierefrei. Im neuen Haus kann dagegen die vorhandene Pflegeausstattung genutzt werden. „Die Menschen können hier bleiben und zur Ruhe kommen“, sagt Anna Kwaku, die das Heim leiten wird. Bis zu 118 Menschen finden in Einzel- und Doppelzimmern Platz, erst einmal sollen etwa 50 Menschen kommen. Die Umzüge starten am 22. April.

Beim Namen für die neue Einrichtung tut sich die Sozialbehörde noch schwer. Das Haus sei kein Pflegeheim und kein Krankenhaus - unterscheide sich von einer Notunterkunft aber durch die ganztägige Betreuung. Nach Möglichkeit sollten die Menschen in andere Wohnformen umziehen, wenn sich ihr Zustand stabilisiert habe. „Da es sich um schwer- und schwerstkranke Menschen handelt, ist in einigen Fällen davon auszugehen, dass die Menschen dort bis zu ihrem Ableben verbleiben werden“, teilt die Behörde mit.

In anderen deutschen Großstädten werden Hilfsangebote speziell für pflegebedürftige Obdachlose bereits erprobt. In einem Haus der ASB Nothilfe Berlin leben Menschen mit und ohne Pflegebedarf zusammen. Träger in Köln haben für pflegebedürftige Männer und Frauen jeweils Plätze in getrennten Häusern. Die Versorgung von wohnungslosen Menschen mit medizinischem Versorgungs- und Pflegebedarf sei auch in München eine Herausforderung, sagt ein Sprecher des Sozialreferats.

Erst kürzlich habe der Stadtrat eine neue Einrichtung für Betroffene beschlossen. Ähnlich wie in Hamburg soll dafür ein ehemaliges Pflegeheim genutzt werden.

Die schwer kranken Menschen, die in die Hamburger Einrichtung einziehen sollen, sind teils im mittleren, teils im Seniorenalter. „Wir reden hier über Menschen, die geschützt werden müssen“, sagt Wollberg. Im Winternotprogramm litten sie unter dem Lebensstil anderer Klienten, etwa dem Alkohol- und Drogenkonsum. Beides sei in der Pflegeeinrichtung nicht gestattet, betont sie. Auch sollen nur Menschen einziehen, die das Team von Fördern und Wohnen schon aus der Notunterkunft kennt. „Es wird keine Direktaufnahmen aus Krankenhäusern oder von anderen Sozialarbeitern geben“, sagt Wollberg. „Das habe ich den Anwohnern, Kitas und Schulen versprochen und dieses Versprechen werde ich auch halten.“

Bei einem offenen Abend Anfang April konnten Anwohnerinnen und Anwohner die Räume ansehen und Fragen stellen. Die Stimmung sei positiv gewesen, einige hätten schon Interesse an einer ehrenamtlichen Tätigkeit im Haus angemeldet, sagt Kwaku im Anschluss. Doch die Teamleiterin spricht auch von Sorgen, die in den vergangenen Wochen angesprochen wurden: dass sich das Stadtbild ändert. Dass die Menschen auf der Straße herumhängen. Dass Drogen konsumiert werden. „Manche denken auch, dass das Seniorenheim extra für uns geschlossen wurde“, sagt Kwaku. Die Sozialbehörde habe die Pläne zu kurzfristig bekannt gegeben und am Anfang zu wenig informiert. „Das tut mir einfach leid für die Menschen, die hierherkommen.“

Die Behörde will nun einen Sicherheitsdienst rund um die Unterkunft einsetzen. Nicht, weil man von den Bewohnern ausgehende Gefahr vermute, sagt Wollberg. Aber man wolle die Sorgen der Anwohner beachten. Aktiv will Fördern und Wohnen auch auf die Menschen zugehen, die direkt neben einer weiteren geplanten Unterkunft wohnen. In derselben Straße in Niendorf entsteht noch ein Modellprojekt, das Obdachlosen ein niedrigschwelliges Wohnangebot machen soll. 16 Plätze gibt es, Drogenkonsum ist laut Fördern und Wohnen auch in diesem Haus nicht gestattet. „Wir werden einen großen Schwerpunkt auf Nachbarschaftsarbeit setzen“, sagt die zuständige Bereichsleiterin Ina Ratzlaff.

Laut Hochrechnung der BAG W sind zum Stichtag am 30. Juni 2022 in Deutschland 447 000 Menschen wohnungslos gewesen. In die Berechnung bezieht die BAG W Menschen ein, die obdachlos auf der Straße leben, aber auch Wohnungslose, die vorübergehend institutionell oder bei Bekannten unterkommen. „Das Problem der Pflege im Bereich wohnungsloser Menschen ist vielschichtig“, sagt Bösing. Konkrete Zahlen dazu gebe es nicht. Menschen würden etwa nach einer Akutbehandlung aus dem Krankenhaus entlassen, ohne Absicherung einer Weiterbehandlung. „Sie verelenden auf den Straßen.“ Fehlende sozialrechtliche Ansprüche vergrößerten das Problem.

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