Athen (dpa)
Alexis Tsipras regiert in Griechenland nun seit 100 Tagen. Die ersten drei Monate waren turbulent, haben aber Griechenlands Problem nicht gelöst. Tsipras tritt auf der Stelle und die Geldgeber verlieren die Geduld.
Vom rasanten Start zum bedrückenden Stillstand: Die neue griechische Regierung unter dem Linken Alexis Tsipras zieht nach 100 Tagen im Amt eine ernüchternde Bilanz. Die großen und vollmundigen Versprechungen sind inzwischen verstummt. Stattdessen wird mit leisen Tönen versucht, die anhaltende Misere zu erklären.
Am 25. Januar gewann das Bündnis der radikalen Linken (Syriza) die Wahlen. Schon einen Tag später wurde sein Chef Tsipras vereidigt und einen Tag danach stand auch seine Regierung. Allerdings musste er einen Koalitionspartner suchen, weil ihm zwei Stimmen für die absolute Mehrheit im Parlament fehlten. Diese Rolle übernahmen die Rechtspopulisten der Partei der Unabhängigen Griechen. Tsipras wollte die Griechen vom "Joch" der Troika der Geldgeber befreien, Wachstum bringen und Arbeitslosigkeit bekämpfen.
100 Tage danach ist die Stimmung in Athen bedrückt. Die Verhandlungen über eine Lösung des Finanzproblems des Landes drehen sich im Kreis. "Und der Kreis verwandelt sich zunehmend in eine Schlinge, die um den Hals des Landes immer enger wird", sagt ein Diplomat eines großen Nicht-EU-Landes in Athen. Die Kassen sind leer. Niemand investiert, Tausende Geschäfte schlossen. Krankenhäuser brechen zusammen. Es fehlt an Medikamenten. Die Arbeitslosigkeit bleibt groß.
Dabei hatte Tsipras Vieles und Großes versprochen. Griechenland bräuchte angeblich kein Geld mehr. Die Geldgeber wollte er überreden, weiter zu zahlen, bis er eigene Reformschritte umsetzt. Es lief genau umgekehrt. Die Geldgeber ließen ihn wissen, dass es Geld nur gebe, wenn er Reformen in Gang setzt. Seitdem legt Athen immer wieder neue Listen mit Maßnahmen vor, die von den Geldgebern in ihrem größten Teil als mangelhaft abgelehnt werden.
Eine tragende Rolle in dem Drama spielte Tsipras' "Pop-Star- Finanzminister" Gianis Varoufakis. Sein Motto ist die "produktive Undeutlichkeit", wie er seine Politik nennt. Es geht um ein eigenartiges Finanz-Pokerspiel, in dem Athen und die Geldgeber bluffen, wie Varoufakis offenbar meinte. Als Sieger werde wohl derjenige herauskommen, der die stärksten Nerven hat.
Das kam aber bei der Eurogruppe nicht an. Es schaffte damit lediglich Verwirrung, in der weder er noch die Geldgeber noch wussten, was gilt und was nicht gilt. Es kam zu einem Bruch und einem offenen Streit vor laufenden Kameras mit Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und danach auch mit der Eurogruppe. "Wir verlieren immer 18 zu 1" (18 Eurogruppenstaaten stimmen gegen Griechenland), monierte die griechische Opposition.
Tsipras scheiterte zudem mit dem Versuch, eine Art Bündnis der Südländer gegen das aus Brüssel diktierte Sparprogramm zu schmieden.
Portugal und Spanien wollten nichts davon wissen. Und Italiens Regierungschef Matteo Renzi empfing Tsipras freundlich, klopfte ihm auf die Schulter und riet ihm, sich an die Regeln zu halten.
In der Zwischenzeit verschlimmerte sich die Liquiditätslage im Land. Um die Verpflichtungen Griechenlands und die Löhne der Staatsbediensteten zu zahlen, kratzte die Regierung auch die letzten Staatsgelder zudammen. Sogar Rentenkassen und öffentlich-rechtliche Unternehmen mussten dem Staat ihre Gelder überlassen.
Kommentatoren in Athen spekulieren inzwischen darüber, wo das Problem zu suchen ist. Tsipras höre zu viel auf seine Partei - ein buntes Sammelsurium von Sozialisten, Ex-Kommunisten, Maoisten, Trotzkisten und anderen kleineren linken Komponenten. Er müsse jetzt handeln und begreifen, dass er Ministerpräsident des Landes und nicht nur ein Parteichef sei, hieß es in fast allen Traditionszeitungen Athens am Wochenende vor dem 100-Tage-Jubiläum. Er müsse den Griechen nicht mehr das sagen, was sie hören wollen, sondern was sie hören müssen.
Nämlich: Ohne neue harte Sparmaßnahmen ohne eine Sanierung des Rentensystems wird Griechenland bald abstürzen.
Was tut Tsipras nun? Etwas scheint sich zu bewegen: Er hat seinen Finanzminister Varoufakis in die Ecke gestellt. Die Verhandlungen mit den Geldgebern hat der untergeordnete Finanzexperte Eukleides Tsakalotos übernommen. Sicher ist nur eines: Griechenland hat nicht mehr viel Zeit.