Berlin (dpa)
Die Krankenhäuser in Deutschland sollen von finanziellem Druck entlastet werden und sich stärker spezialisieren. Darauf zielt eine Reform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die der Bundestag heute beschließen soll. Die Gesetzespläne der Ampel-Koalition sollen die bisherige Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle ändern. Künftig sollen Kliniken 60 Prozent der Vergütung schon für das Vorhalten bestimmter Angebote bekommen. Das Vorhaben ist heftig umstritten - Kritiker riefen vor der Abstimmung erneut dazu auf, es zu stoppen.
„Eine Krankenhausreform war und ist richtig. Aber so, wie der Entwurf jetzt vorliegt, darf er nicht umgesetzt werden“, sagte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Henriette Neumeyer, der „Rheinischen Post“.
„Auch die bedarfsnotwendigen Krankenhausstandorte sind durch das Gesetz nicht gesichert.“ Der Entwurf stehe für „eine fortgesetzte kalte Marktbereinigung mit wegbrechenden Krankenhausstandorten und den Einstieg in die Rationierung und Wartelistenmedizin“.
Auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, warnte, die Abgeordneten könnten die Auswirkungen nicht abschätzen. „Es gab niemals einen Stresstest, den das gesetzliche Vorhaben in der Praxis durchlaufen hat“, sagte er der „Rheinischen Post“. Die Reform sei schlecht gemacht und es stehe zu befürchten, dass der ländliche Raum weiter ausblute. „Schließlich ist immer noch unbekannt, welche Hospitäler für die jeweiligen Erkrankungen der Menschen zuständig sein werden.“ Ebenso bleibe die Finanzierung „auch für die Übergangszeit weitestgehend ungeklärt“.
Viele Kliniken schreiben rote Zahlen
In Deutschland gibt es rund 1.700 Kliniken - das Gesundheitsministerium spricht von der höchsten Krankenhaus- und Bettendichte in Europa. Viele Betten seien aber nicht belegt und viele Kliniken schrieben rote Zahlen. Die Reform soll mehr Spezialisierung und weniger Bürokratie bringen.
Das neue Bezahlsystem soll den finanziellen Druck für die Kliniken mindern und verhindern, dass sie etwa medizinisch unnötige Operationen aus Umsatzgründen machen. Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen „Leistungsgruppen“ sein. Sie sollen die jeweiligen Klinik-Behandlungen genauer beschreiben und bundeseinheitliche Qualitätsvorgaben absichern. Die konkrete Umsetzung der Reform soll Schritt für Schritt über mehrere Jahre erfolgen.
Die SPD-Gesundheitsexpertin Heike Baehrens sagte der Deutschen Presse-Agentur, die umfassendste Gesundheitsreform der vergangenen 20 Jahre stelle die Weichen für eine moderne Krankenhauslandschaft in Deutschland. „Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet dies eine gesicherte Behandlungsqualität und zuverlässige Erreichbarkeit von medizinischer Versorgung in Wohnortnähe.“
Von Klinikbranche und Opposition kommt seit Monaten Kritik. Die gesetzlichen Krankenkassen begrüßen mehr Spezialisierung, warnen aber vor weiteren Kostensteigerungen.
Bayern will Vermittlungsausschuss durchsetzen
Die Länder haben ebenfalls Einwände angemeldet. Lauterbach hat das Gesetz aber nicht mehr so angelegt, dass es bei der noch folgenden Befassung im Bundesrat zustimmungsbedürftig ist. Die Länderkammer könnte jedoch den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag anrufen und die Reform damit ausbremsen.
Dies strebt die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach an: „Bayern wird sich im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses einsetzen, um auf diesem Weg doch noch die dringend notwendigen Änderungen zu bewirken“, sagte die CSU-Politikerin der „Augsburger Allgemeinen“. „Kleinere Krankenhäuser, insbesondere in ländlichen Regionen, werden aufgrund der starren und kleinteiligen Voraussetzungen Schwierigkeiten haben, ihr bisheriges Leistungsangebot aufrechtzuerhalten.“
Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi äußerte sich dagegen optimistischer, nachdem der SPD-Politiker lange Kritik geübt hatte: „Es geht deutlich in die richtige Richtung. Es hat sich vieles durch unsere Verhandlungen verbessert“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Philippi forderte aber erneut mehr Geld vom Bund für die Kliniken. Das Abstimmungsverhalten Niedersachsens Ende November im Bundesrat ließ er offen. Entscheidend sei neben der Bereitstellung von Geld, ob eine Auswirkungsanalyse deutliche Vorteile für Niedersachsen zeige.
Barmer-Chef sieht zu viele Zugeständnisse an Länder
Der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse Barmer, Christoph Straub, kritisierte dagegen, dass auf Druck der Länder bereits zu viele Ausnahmen vorgesehen seien. „Mittlerweile wurde die Reform so verwässert, dass ich sage: besser keine Reform als diese Reform“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Eine Reform, die die Beitragszahlenden sehr viel Geld kostet, aber keine bessere Qualität bringt, ist fatal und darf keinesfalls kommen. Die Ampel-Koalition sollte ihre Pläne beerdigen und der Nachfolgeregierung die Chance geben, es mit einem neuen Anlauf besser zu machen.“