Berlin (dpa)
In Deutschland gibt es zu wenig Spenderorgane. Deswegen sollen im kommenden Jahr die Regeln für Spender geändert werden. Die Diskussion sorgt für Zündstoff im Bundestag - über die Fraktionsgrenzen hinweg.
In der Debatte über eine Reform der Regelungen für die Zustimmung zur Organspende zeichnet sich kein Kompromiss ab. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnte den Vorschlag einer parteiübergreifenden Parlamentariergruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock ab, der die Zustimmung zur Organspende mit der Vergabe eines Ausweises oder Reisepasses verknüpfen will. Lauterbach sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin, der von ihm gemeinsam mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vorbereitete fraktionsübergreifende Antrag für eine „doppelte Widerspruchslösung“ werde in den ersten Januarwochen vorgelegt.
Die der dpa und der „Welt“ vorliegenden Eckpunkte der Gruppe um Baerbock sehen vor, dass die Bereitschaft zur Organspende abgefragt wird, wenn jemand einen Ausweis oder Reisepass abholt. Ausführliche Informationen und die Möglichkeit für ein ergänzendes Gespräch sollen die Bürger demnach erhalten, wenn sie den Ausweis beantragen. Beim Abholen müssen sie entscheiden, ob sie zur Organspende bereit sind oder ob sie die Entscheidung verschieben.
In Grundzügen entspricht das einem Vorschlag von Parlamentariern um Baerbock und Linke-Chefin Katja Kipping, der bei einer Bundestagsdebatte Ende November viele Unterstützer hatte. Vertreten sind demnach Politiker aller Bundestagsfraktionen außer der AfD.
Die Abgeordneten warten nun darauf, dass das Gesundheitsministerium einen Entwurf als Formulierungshilfe für einen eigenen Antrag zurückschickt. Spahn hatte eine solche Hilfe angeboten. Nach den Vorstellungen der Abgeordnetengruppe um Baerbock soll jeder, der einen Ausweis beantragt, „ausführliche und unabhängige Informationen“ von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) erhalten. Beim Abholen des Ausweises sollen die Bürger festlegen, ob sie alle oder bestimmte Organe spenden oder sich nicht entscheiden wollen - oder wer im Falle eines Unglücks entscheiden soll.
Wenn die Person Organspender sein möchte oder Angehörige entscheiden sollen, werden die Daten an das zentrale Organspenderegister übermittelt. Alle bekommen demnach Zugangsdaten mit einer persönlichen Nummer, über die sie jederzeit die Entscheidung ändern oder nachholen können.
SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach sagte, dieser Vorstoß werde in der Praxis dazu führen, „dass viele, die eigentlich spenden wollen, es nicht tun“. Zum einen gebe es viele Menschen, die keine deutschen Pässe beantragen. Zudem sei man etwa im Alter von 18 Jahren, wenn man womöglich erstmals einen Pass beantrage, „noch nicht gewillt, sich mit der Frage intensiv auseinanderzusetzen“. Auch könnten unterschiedliche Dokumente Unklarheiten hervorrufen. „Es kann dazu führen, dass auf dem einen Dokument noch dokumentiert ist, dass man Spender ist, auf dem anderen nicht.“
„In der Umsetzung werden sich viele dann also entweder nicht entscheiden. Oder sie werden die Entscheidung bereuen, aber sie wollen dann nicht ein neues Dokument extra beantragen, um die Entscheidung zu revidieren“, warnte Lauterbach. Bei der Widerspruchslösung sei jeder Spender, es sei denn, man widerspreche. „Widersprechen kann ich zu jedem Zeitpunkt auf eine unbürokratische einfache Art und Weise. Dann werde ich in ein Register eingetragen als Nicht-Spender. Fertig.“ Dies funktioniere in allen Ländern, in denen eine solche Lösung zur Organspende eingeführt sei.
Spahn hatte vorgeschlagen, jeder solle als Spender gelten, der nicht aktiv widerspreche. Er warb für diese „doppelte Widerspruchslösung“ angesichts von rund 10 000 Menschen, die auf Organe warten. Bisher sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja erlaubt. Die Reform ist für das kommende Jahr geplant - Lauterbach erwartet eine entsprechende Bundestagsdebatte im März.
Die Stiftung Patientenschutz warnte davor, mit einer Neuregelung bestehende Patientenverfügungen indirekt einzuschränken. „Heute werden viele mögliche Organspender nicht gemeldet, weil sie früher festgelegt haben, bei möglicher Hirnschädigung keine künstliche Ernährung oder Beatmung zu wollen“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Ärzte hätten sich daran zu halten. „Das Patientenverfügungsgesetz stärkt das Recht auf Sterben. Ein neues Organspendegesetz darf solche verbindlichen Willenserklärungen nicht aushebeln.“
Aller Aufklärung zum Trotz gehen die Organspende-Zahlen seit 2012 herunter und sanken 2017 auf einen Tiefpunkt von 797 Spendern. Für dieses Jahr zeichnet sich immerhin wieder ein Anstieg ab - bis Mitte November gab es schon 832 Spender.