Berlin (dpa)
Überlastete Pfleger, mangelnde Zuwendung - Pflege stößt schon heute oft an Grenzen. Die Koalition will Erleichterungen und steht in den Startlöchern für ihre Reform. Doch kann sie die Erwartungen erfüllen?
Tag für Tag sitzt die demenzkranke Seniorin in ihrem Zimmer in einem Berliner Pflegeheim. Den Gesellschaftsraum meidet sie. "Sie hat Angst vor lauten Stimmen und zu vielen Leuten", sagt ihre Tochter. Es ist ein gutes Heim, trotzdem fehlt es aus Sicht der Tochter an Zuwendung. Wie hier stößt Pflege in Deutschland landauf, landab an Grenzen. Die Koalition verspricht echte Erleichterungen - die Pflegereform soll ihr gesundheitspolitisches Glanzstück werden. Derzeit bereitet sie die Gesetzesarbeit hinter verschlossenen Türen vor. Doch reichen die Pläne für die Altenrepublik Deutschland der Zukunft?
Zwei Reformschritte will die Koalition gehen. Ab Anfang 2015 sollen mit rund 2,4 Milliarden Euro zusätzlichem Beitragsgeld zunächst höhere und mehr Leistungen und zusätzliche Betreuung bezahlt werden. So sollen vor allem Demenzkranke von mehr als 20 000 zusätzlichen nachqualifizierten Betreuungskräften in Heimen profitieren.
Dann will Schwarz-Rot die Pflegeversicherung umstellen - rund fünf Jahre nach ersten Vorschlägen von Regierungsberatern. Der Angelpunkt ist der Pflegebegriff: Die heutigen drei Pflegestufen sollen durch weiter gefasste Pflegegrade ersetzt werden. Hunderttausende Demenzkranke, die heute leer ausgehen, sollen von der Pflegeversicherung profitieren. Doch die Branche ist misstrauisch:
Kommt nach vielen Versprechen die Großreform wirklich?
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gibt sich entschlossen: "Wir wollen den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff voll umsetzen." Bald werde das neue Verfahren erprobt. "Wir werden dann in einer Reihe von Einrichtungen Pflegebedürftige nach beiden Systemen begutachten, um festzustellen, wo wir nachbessern müssen." Die Gesetzgebung soll in der laufenden Wahlperiode geschafft werden.
Doch gibt es genug Pfleger, die sich um immer mehr Bedürftige kümmern? Seit Wochen warnt der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus: "Man kann nicht permanent über Leistungsverbesserungen reden, wenn man nicht sagt: Woher sollen die herkommen, die die Leistungen erbringen sollen?" Schon heute fehlen Zehntausende Fachkräfte. Auf 100 offene Stellen kommen laut Bundesagentur für Arbeit nur rund 40 arbeitslose Pflegefachkräfte.
2012 haben Bund, Länder und Verbände eine Initiative gegen den Pflegenotstand gestartet: Die Ausbildungszahlen sollen bis 2015 jährlich um zehn Prozent steigen. Gröhe wappnet sich für schwierige Gespräche: "Wenn ich mit den Ländern alsbald über die Neuausrichtung der Pflegeausbildung rede, werden wir auch eine Zwischenbilanz ziehen müssen, wie wir auf dem Weg vorangekommen sind."
Ihn betrübe sehr, wenn Pfleger aufgeben, auch weil sie ihre eigenen Ansprüche an Zuwendung nicht erfüllen können, sagt Gröhe.
Viele Pflegekräfte arbeiteten auch unfreiwillig in Teilzeit. "Mit den Arbeitgebern werden wir darüber reden, wie wir diese Reserve heben."
Eine Million mehr Pflegebedürftige soll es in den nächsten 15 Jahren geben, insgesamt rund 3,5 Millionen Menschen. AOK-Chef Jürgen Graalmann warnt davor, angesichts der Probleme und Prognosen zu hohe Erwartungen an die Reform zu knüpfen. Selbst in der Koalition gibt es Zweifel, dass künftig genug Pfleger gewonnen werden. Schon heute hapert es an vielen Stellen - die Lücken könnten laut Experten manche Pläne von Union und SPD aushöhlen.
Beispiel Kurzzeitpflege: Die Pflegekasse zahlt bis zu 1550 Euro für bis zu vier Wochen Heimaufenthalt eines eigentlich zu Hause Gepflegten pro Jahr. Künftig sollen solche Leistungen flexibler und somit verstärkt gewährt werden. Doch fehlen laut Sozialverband VdK oft passende Plätze.
Eines ist sicher: Pflege wird teurer. Die Koalition will den Pflegebeitragssatz von 2,05 Prozent - Kinderlose: 2,3 Prozent - Anfang 2015 um 0,3 Punkte heraufsetzen, 0,2 Punkte mehr sollen später für den neuen Pflegebegriff folgen. Schon gibt es in der CDU Überlegungen, Kinderlosen noch mehr abzuverlangen. Ihr Fachpolitiker Jens Spahn regt zum Verdruss der SPD an, das zusätzliche Geld in einen geplanten Vorsorgefonds für späteren Mehrbedarf zu stecken.