Berlin (dpa)
Wie weit geht das Recht Sterbenskranker, Hilfe vom Staat beim Suizid zu bekommen? Ein Gutachten entfacht die emotionale Debatte um Sterbehilfe erneut.
Das Bundesverfassungsgericht muss nach Ansicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz dringend Klarheit schaffen, ob Behörden tatsächlich Sterbehilfe leisten und Sterbewilligen den Zugang zu tödlichen Mitteln ermöglichen müssen. Stiftungsvorstand Eugen Brysch forderte die Bundesregierung auf, eine Entscheidung darüber in Karlsruhe zu suchen. Er sagte der dpa: „Es kann nicht sein, dass Verwaltungsbeamte über die Vergabe von Tötungsmitteln an Suizidwillige entscheiden.“
Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) argumentiert zwar auch: „Eine staatliche Behörde darf niemals Helfershelfer einer Selbsttötung werden.“ Doch er forderte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Dienstag) den Bundestag auf, mit einem neuen Gesetz Klarheit bei der Hilfe zur Selbsttötung zu schaffen. Er erinnerte daran, dass der Bundestag im Herbst 2015 die organisierte Sterbehilfe mit großer Mehrheit verboten und zugleich die Versorgung Sterbenskranker (Palliativversorgung) verbessert habe.
Hintergrund der Vorstöße von Gröhe und Brysch sind jetzt bekannt gewordene verfassungsrechtliche Vorbehalte gegenüber eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom März 2017. Danach haben Schwerstkranke „in Extremfällen“ ein Recht, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ihnen erlaubt, eine tödliche Dosis des Schlafmittels Natrium-Pentobarbital zu beziehen. Nach FAZ-Informationen sind inzwischen 83 solcher Anträge eingegangen.
Das Institut vertritt jedoch die Auffassung, dass dies nicht zu seinen Kompetenzen gehöre. Es beauftragte den Verfassungsrechtler Udo di Fabio, die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils zu klären und zu prüfen, inwieweit das Bundesinstitut verpflichtet werden kann, einem Sterbewilligen die tödlichen Mittel zu verschaffen oder ihm den Zugang zu ermöglichen.
Di Fabio hat nach dem vom BfArM am Montag veröffentlichten Gutachten verfassungsrechtliche Vorbehalte gegen das Urteil der Leipziger Richter. Diese stellten in ihrem Urteil vor allem auf das Persönlichkeitsrecht ab. Selbstbestimmung führe aber nicht zu einer Pflicht des Staates, sich an einer höchstpersönlichen Entscheidung zu beteiligen, hält di Fabio dem entgegen.
Der Gesetzgeber sei auch berechtigt, die Mittel zu verweigern, wenn er in einer Hilfe zur Selbsttötung die Gefahr sehe, künftig routinemäßig tödlich wirkende Substanzen ausgeben zu müssen, sobald ein Sterbewilliger danach frage.
Im November 2015 entschied der Bundestag, dass „geschäftsmäßige“ und auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe in Deutschland verboten wird. Vereine oder Einzelpersonen dürfen demnach künftig keine Beihilfe zum Suizid als Dienstleistung anbieten. Mit einem neuen Straftatbestand drohen künftig bis zu drei Jahre Haft, wenn etwa einem unheilbar Krebskranken geschäftsmäßig ein tödliches Medikament gewährt wird.
Schon damals wurden Zweifel laut, ab der Begriff „geschäftsmäßig“ juristisch eindeutig ist. Kritiker hatten vor einer Kriminalisierung von Ärzten, die etwa in der Sterbebegleitung tätig sind, und einer Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen gewarnt. Der inzwischen gestorbene Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) trat für die Möglichkeit des ärztlich begleiteten Suizids ein, konnte sich aber damit nicht durchsetzen.
Suizidversuche und Beihilfe zum Suizid sind nicht strafbar. Das heißt, wenn es nur beim Versuch der Selbsttötung bleibt, hat dies kein juristisches Nachspiel. Und es ist auch erlaubt, ein Mittel zur Selbsttötung bereitzustellen, das der Betroffene selbst einnimmt.