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Gesundheit wird im britischen Wahlkampf zum Zankapfel

Einst stand er Modell für die Welt: der britische NHS. Die Versorgung Kranker auf hohem Niveau, aus Steuern finanziert, frei zugänglich für alle. Die Realität in der Gegenwart ist dagegen oft erschreckend. Die Parteien streiten im Wahlkampf um eine Ikone ihrer Nation.

London (dpa)

Einst stand er Modell für die Welt: der britische NHS. Die Versorgung Kranker auf hohem Niveau, aus Steuern finanziert, frei zugänglich für alle. Die Realität in der Gegenwart ist dagegen oft erschreckend. Die Parteien streiten im Wahlkampf um eine Ikone ihrer Nation.

Der Unterschied zwischen "gut" und "gut gemeint" kann groß sein. Das staatliche britische Gesundheitswesen NHS tritt dafür den Beweis an. Einst weltweit als fortschrittlichstes aller Systeme gefeiert, der gesamten Bevölkerung aus Steuermitteln eine konstante und qualitativ einwandfreie - vor allem aber weitgehend kostenlose - Versorgung bietend, ist der NHS in den vergangenen Jahren zum Spottobjekt auf der Insel verkommen.

Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl am 7. Mai streiten sich die Parteien. Wie ist das britische Gesundheitssystem noch zu retten?  Der NHS ist nach Darstellung der Wahlforscher von der London School of Economics (LSE) inzwischen zum zweitheißesten Eisen im Wahlkampf nach der Wirtschaftslage geworden.

Wer die Wahl gewinnen will, muss eine Antwort auf die Probleme im Gesundheitswesen finden, glauben Politologen wie LSE-Professor Simon Hix. Nicht umsonst wurde es bei der jüngsten Fernsehdebatte der Parteiführer laut, als es um die Gesundheit ging. "Sie lügen!", schrie Rechtspopulist Nigel Farage den kaum weniger aufgebrachten Labour-Chef Ed Miliband an. 

Die Probleme in der Versorgung sind immens. Fast täglich berichten die britischen Zeitungen über Horrorszenarien aus Krankenhäusern.

Menschen sterben in Rettungswagen, weil sie vor der Notaufnahme warten müssen; Kranke leiden, weil terminierte Behandlungen stundenlang nicht stattfinden; Termine für Standarduntersuchungen dauern Monate. International bekannt wurde der Fall eines krebskranken Jungen, dessen Eltern mit dem Kind nach Spanien flüchteten, weil in Großbritannien keine adäquate Behandlung für den Schwerkranken möglich war. 

Die Aufsichtsbehörden schlagen längst Alarm. Hausarztpraxen werden von offiziellen Prüfern als "gefährlich" eingestuft. Professor Steve Field, Chefinspekteur für Hausärzte bei der Kommission für die Qualität der Pflege (CQC), hält die Lage in 200 der 8000 Praxen in England für so brisant, dass sie das Wohl der Patienten gefährden.

Fields Liste liest sich wie ein Gruselszenario: Falsche Medikamente werden verschrieben, Krebszeichen nicht rechtzeitig erkannt, deutlich zu viele Antibiotika verordnet. "Es ist nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Praxen, aber sie können Hunderttausende Patienten gefährden", sagt Field. 

Der NHS kämpft mit immensen Strukturproblemen. "Wir haben hier in Wales weniger Ärzte als in allen anderen EU-Ländern", beklagt die Vorsitzende der walisischen Partei Plaid Cymru. In Großbritannien sterben pro Jahr 6000 Kinder im Alter unter fünf Jahren - eine Rate, die um 25 Prozent über dem Europa-Durchschnitt liegt. Hoch entwickelte Länder wie Schweden, Deutschland und vor allem Island haben deutlich günstigere Statistiken vorzuweisen. "Mit diesen Zahlen haben wir die Rote Laterne in der Tabelle Westeuropas", sagt Ingrid Wolfe vom Royal College of Paediatrics. Im vergangenen Winter mussten mehr als 78 000 Krankenwagen länger als 30 Minuten vor Krankenhäusern warten, bis ihre Patienten aufgenommen wurden, ergab eine offizielle Statistik. 

Die Probleme sind in der Politik erkannt - doch getan wird nicht allzu viel. Unter der konservativen Regierung von Premierminister David Cameron ging die Finanzierung immer weiter zurück. Im Januar kam es zur Rebellion der Krankenhäuser, von denen 80 Prozent unterfinanziert sind. Premierminister David Cameron will bis 2020 jährlich acht zusätzliche Milliarden ins System pumpen.

Labour-Chef Ed Miliband, der das für leere Versprechungen hält, will einen Pflege-Fonds mit jährlich 2,5 Milliarden Pfund (rund 3,5 Milliarden Euro) auflegen.

Im Wahlkampf nimmt man es auch mit den Problemen nicht so genau. "Wenn Sie oder jemand aus Ihrer Familie krank werden, stellen wir sicher, dass Sie sich auf unseren gefeierten NHS verlassen können, der Ihnen die Hilfe zukommen lässt, die Sie brauchen", sagt Cameron und fährt fort: "Die Versorgung von Neugeborenen ist bei uns besser als überall sonst in der Welt." Zumindest für die bevorstehende Geburt von Herzogin Kates zweitem Baby dürfte das stimmen. Sie kommt in einer Privatklinik nieder und zahlt dafür rund 12 000 Pfund (rund 16 000 Euro).  

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