Heidelberg (dpa)
Etwa 500 000 Krebsfälle werden jedes Jahr in Deutschland neu registriert. Wer die heimtückische Krankheit überlebt, braucht Nachsorge. Hier soll künftig vieles besser laufen.
Tumor entfernt, doch die Gefahr bleibt: Die deutsche Krebsforschung will die Nachsorge für Patienten intensivieren, aber der Weg zum allumfassenden Konzept ist weit. „In den vergangenen zehn Jahren ist das Bewusstsein gewachsen, Patienten über eine Heilung hinaus länger zu versorgen“, sagt Volker Arndt vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg vor dem Weltkrebstag am kommenden Samstag (4. Februar).
Seit langem lautet die Faustregel: Wer fünf Jahre krebsfrei ist, gilt als gesund. Das hänge aber von der Tumorart ab, meint Arndt. „Bei vielen Tumorarten, zum Beispiel Brust- und Prostatakrebs, weisen auch fünf Jahre nach der Diagnose Patienten schlechtere Überlebenschancen auf als nicht Betroffene. Auch treten manche Spätfolgen erst viele Jahre nach Abschluss der Therapie auf“, sagt der Experte.
„Es lohnt sich, in die USA zu schauen: Die haben viel früher begonnen, in der Krebs-Nachsorge aktiv zu werden“, meint Arndt. Deutschland hole aber auf. „Wir haben den Vorteil, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung besser ist als etwa in den USA.“ Zudem sei die onkologische Rehabilitation fester Bestandteil der Versorgung.
Am Neckar-Ufer der Touristenstadt Heidelberg forscht Arndt auf dem riesigen Gelände des DKFZ - zusammen mit fast 3000 Kollegen in mehr als 90 Abteilungen und Forschungsgruppen. Ihre Aufgabe: Näheres darüber zu erfahren, wie Krebs entsteht und welche Faktoren das Risiko beeinflussen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse entwickeln die Forscher neue Ansätze - auch in der Nachsorge.
Im Internet sind viele Berichte ehemaliger Patienten nachzulesen. Eine von ihnen ist Chanel Martin aus Frankfurt, bei der Ende 2014 Lymphdrüsenkrebs festgestellt wurde. Die junge Mutter mit Zweitnamen Marie veröffentlicht ihre Erfahrungen im Blog „Marie gegen Krebs“. Mit der Krankheit höre sie nicht auf, ein Mensch zu sein, sagt Martin. Seit Mai 2015 gilt sie als offiziell krebsfrei. Die Angst vor einem Rückfall (Rezidiv) ist aber wie bei vielen allgegenwärtig.Der Deutschen Krebshilfe zufolge sterben jährlich in Deutschland etwa 224 000 Menschen an Krebs, der damit eine der häufigsten Todesursachen ist. „Das Wichtige ist: Patienten sollten mit Blick auf ihre Lebensqualität früher unterstützt werden, nicht erst nach einer Therapie“, sagt Arndt und verweist auf den Nationalen Krebsplan.
Der Krebsplan formuliert 13 Ziele, eines davon: die Verbesserung der psychoonkologischen Versorgung. Das Gesundheitsministerium setzt dabei auch auf klinische Krebsregister. „Der Ausbau der Register soll mit den Ländern vorangetrieben werden“, sagt Minister Hermann Gröhe (CDU). Damit soll von der Ersterkennung über die Behandlung bis hin zur Nachsorge die bestmögliche Behandlung gefunden werden.
Manche Krankenkassen haben einen sogenannten Nachsorgepass erarbeitet. Er soll Betroffenen helfen, nach Chemotherapien oder Bestrahlungen an die notwendigen Kontrollen zu denken - und den Überblick über diese Behandlungen und Termine zu behalten.
„Krebs muss heute kein Todesurteil sein“, sagt Experte Arndt. Etwa 500 000 Neuerkrankungen werden jedes Jahr in Deutschland registriert. Derzeit leben hier rund 3,5 bis 4 Millionen Menschen mit dieser Diagnose. Aber gesund sei der Patient nach Überwindung der Krankheit nicht automatisch, sagt Arndt.
Früher prüften Ärzte nach überwundener Krebserkrankung oft nur die Blutwerte und prüften auf Vorliegen eines möglichen Rezidivs. Dabei würden eine Reihe von Untersuchungen zeigen, dass ehemalige Krebspatienten Probleme haben, die sich von den Beschwerden kurz nach Diagnose und Therapie unterscheiden, sagt Arndt. Nach einer Bestrahlung oder Chemotherapie könnten bei Brustkrebspatientinnen etwa Herzprobleme auftreten, bei anderen Patienten komme es zum Beispiel zu Schlafstörungen und einer chronischen Erschöpfung.
Wie Nachsorge aussehen sollte, hänge vom „Risikoprofil“ des Patienten ab, sagte Wolfgang Hiddemann vom Klinikum der Universität München einmal bei einer Veranstaltung im örtlichen Presseclub. Er warnt davor, bei der Nachsorge nur auf Apparate-Medizin zu setzen - mindestens ebenso wichtig sei der Dialog zwischen Arzt und Patient.
Sogenannte Survivorship-Programme (vom Englischen „survive“: überleben) begleiten Patienten nach einer Krebserkrankung ohne zeitliche Begrenzung - also auch über die Tumornachsorge hinaus. „Aufgrund möglicher Langzeitnebenwirkungen und den speziellen Bedürfnissen von Überlebenden ist eine Nachsorge über die eigentliche Tumornachsorge hinaus wichtig“, sagt die Hamburger Expertin Julia Quidde. Das Universitäre Cancer Center Hamburg (UCCH) in der Hansestadt gilt als wichtiges Forschungszentrum.
Geheilten Krebspatienten sollten Ärzte mit Sensibilität begegnen, aber nicht mit übertriebener Zurückhaltung. „Nicht all diese Menschen sind traumatisiert“, sagt Arndt. „Es ist natürlich ein Einschnitt. Aber viele sagen, dass sie das Leben neu schätzen gelernt haben. Für diese Erkenntnis haben sie einen hohen Preis gezahlt.“