Berlin (dpa)
Die noch junge Bundesregierung debattiert schon über ein aufgeladenes Thema: Die SPD will das Hartz-IV-System auf den Prüfstand stellen und schlägt Alternativen vor. Eine einfache Mission wird das aber nicht.
Es geht um schwierige Fragen von Armut und Würde, die Millionen Menschen aufwühlen - und ein politisches Trauma der SPD. Über Hartz IV und das gesamte System der Grundsicherung ist gleich zum Start der neuen großen Koalition wieder eine heftige Diskussion entbrannt: Wie soll der Sozialstaat Deutschland gerade in Zeiten von Wirtschaftsboom, Rekordbeschäftigung und des großen digitalen Wandels mit Hilfebedürftigen auf dem Arbeitsmarkt und im Alter umgehen? Nicht nur die Sozialdemokraten ringen mit sich um Alternativen zu Hartz IV.
Warum gibt es die Debatte jetzt?
Es war Zufall, dass die neue Regierung just am 15. Jahrestag jener Rede ins Amt kam, in der Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im März 2003 die „Agenda 2010“ ankündigte. Doch während seine Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) die Sozialreform als Grundstein der Wettbewerbsfähigkeit preist, hadert die SPD bis heute damit. Kurz vor seiner Vereidigung produzierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Wirbel mit der Bemerkung, dass Hartz IV ja „nicht Armut“ sei. Die Sozialdemokraten, die nach der Klatsche bei der Bundestagswahl und der ungeliebten Neuauflage der GroKo Erneuerung und mehr Profil ersehnen, wollen sich dem Reizthema nun stellen. SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil zeigt sich via „Bild“-Zeitung schon offen für die „notwendige Debatte“.
Was genau ist die Grundsicherung?
Mit Grundsicherung werden zwei unterschiedliche Sozialleistungen beschrieben. Da ist zum einen die „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“ für Menschen, die wegen Krankheit oder Behinderung nicht voll arbeiten können, und zum Beispiel Rentner. Im vergangenen Dezember bekamen diese Leistung gut eine Million Menschen, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch meldete - drei Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Zweitens ist da die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, also Hartz IV, das rund sechs Millionen Menschen bekommen. Hierfür wurde die Unterstützung für Langzeitarbeitslose auf Sozialhilfe-Niveau gesenkt. Der Regelsatz für Alleinstehende stieg zu Jahresbeginn um 7 Euro auf 416 Euro im Monat. Umstritten an dem Instrumentarium mit dem Motto „Fördern und Fordern“ sind auch Möglichkeiten zu Zahlungs-Kürzungen.
Worauf zielt die Debatte?Worauf zielt die Debatte?
Eine treibende Kraft in der SPD ist Michael Müller. Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin geht es erklärtermaßen darum, den „Makel“ Hartz IV mit neuen Instrumenten zu ergänzen oder sogar bestenfalls abzuschaffen. Ins Gespräch gebracht hat er dafür ein „solidarisches Grundeinkommen“ von 1200 Euro im Monat für Menschen, die zu einer gemeinnützigen, sozialversicherungspflichtigen Arbeit bereit sind. Das Echo ist groß, vor allem vom linken Parteiflügel. Es sei richtig, dass Heil die Debatte aufnehme, meint etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Wir müssen uns fragen, ob die Nebenwirkungen von Hartz 4 die Wirkung in der heutigen Zeit noch wert sind, oder ob es konkrete bessere Lösungen gibt“, schrieb er bei Twitter.
Wie verlaufen die Fronten?
Die Reaktionen auf den Anstoß für ein „solidarisches Grundeinkommen“ fallen kontrovers aus. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer warnt schon vor einem massiven Aufbau künstlicher Beschäftigung. „Das ist in Zeiten von Rekordbeschäftigung und Wirtschaftswachstum ein Irrweg.“ Vom Koalitionspartner kommen ebenfalls skeptische Signale, auch wenn CDU-Arbeitsmarktexperten durchaus Handlungsbedarf für das große Ziel der Vollbeschäftigung sehen. „Wir wollen keinen staatlich geförderten Niedriglohnsektor schaffen“, warnt Unionsfraktionsvize Hermann Gröhe (CDU). Ziel sei, Menschen aus Hartz IV herauszuführen und sie nicht mit sinnlosen Tätigkeiten dauerhaft in Hartz IV zu halten.
Wie geht es weiter?
Gespannt blicken viele darauf, wie sich der neue Arbeitsminister Heil positionieren wird - innerhalb und möglicherweise auch jenseits des Koalitionsvertrags. Allgemein hat er zunächst formuliert, dass er in der Diskussion auf „konkrete und machbare Lösungen“ setze, die auch der „Lebensrealität der Menschen“ entsprechen. Schon verabredet haben Union und SPD zum Schutz vor Altersarmut eine neue Grundrente für langjährige Geringverdiener, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegen soll. Langzeitarbeitslose sollen mit Lohnkostenzuschüssen auf einem „sozialen Arbeitsmarkt“ in Beschäftigung kommen. Die Linke, die selbst in der Hartz-IV-Protestbewegung wurzelt, warnt die SPD davor, nur kurz links zu blinken, wie Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte sagt: „Mit den Hoffnungen und Nöten der Menschen spielt man nicht.“