Gießen (dpa)
Das Krankenhaus ist für viele Menschen der Ort, an dem sie sterben. Ist das dort in Würde möglich? Das wollte ein Gießener Wissenschaftler in einer Studie herausfinden - und hat die Mediziner nach ihrer Meinung gefragt.
Mehr als 400 000 Menschen in Deutschland sterben nach Angaben des Statistischen Bundesamts jedes Jahr in einem Krankenhaus. Der Gießener Psychologe Wolfgang George vom TransMit-Zentrum für Versorgungsforschung und Beratung hat untersucht, unter welchen Bedingungen sie dort ihre letzten Lebensstunden verbringen. Dafür hat er bundesweit 1428 Ärzte und Pfleger befragt. George hat das auch schon im Jahr 1988 gemacht. Die Ergebnisse der aktuellen Studie stellt er am 12. Oktober auf dem Kongress "Sterben im Krankenhaus" in Gießen vor. Über die wichtigsten Erkenntnisse sprach er mit der Nachrichtenagentur dpa.
Frage: Haben Sie persönlich Angst davor, selbst einmal im Krankenhaus zu sterben?
Antwort: Nein, habe ich nicht. Weil ich weiß, wie meinen Bedürfnissen dort Rechnung getragen würde. Es sollte unser Ziel sein, dass Patienten in solchen Stunden froh sind, die Nähe und Sicherheit eines Krankenhauses zu spüren. Weil sie wissen: Sie sind dort in guten Händen.
Frage: Aber Sie sehen auch Defizite. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Ihrer jüngsten Studie?
Antwort: Wir sind in einzelnen Bereichen längst nicht so weit, wie das möglich wäre. Zum Beispiel gibt es in deutschen Krankenhäusern Schmerztherapien, und es sollte klar sein, dass diese auch für Sterbende zur Verfügung stehen. 34 Prozent der von uns Befragten sagen aber, dass die Patienten unzureichend mit Schmerzmitteln versorgt würden. Ein anderes Beispiel: die Angehörigen werden - obwohl es in aller Regel sehr wohl möglich wäre - nicht in die Situation des Sterbenden miteinbezogen, also angeleitet, damit sie beim Essen, Waschen oder Kämmen helfen können. Auch die räumliche Umgebung beurteilen nur 17 Prozent der Befragten als gut oder sehr gut. Das heißt, Menschen sterben in Zimmern, die alles andere als freundlich sind und wo das Abschiednehmen vielleicht nicht so einfach möglich ist.
Frage: Was hat sich seit Ihrer ersten Untersuchung vor 25 Jahren geändert?
Antwort: Es sind nur kleine Verbesserungen. So gibt es inzwischen für Angehörige im Krankenhaus die Möglichkeit zu übernachten. Das gab es damals überhaupt nicht. Auch werden heute Angehörige und Patienten besser über Prognose und Situation aufgeklärt. Wir haben die Mediziner und Pfleger auch gefragt, ob sie glauben, dass an ihrem Arbeitsplatz ein würdevolles Sterben möglich ist. Vor 25 Jahren haben
70 Prozent gesagt: Das ist nicht der Fall. Das hat sich zwar verbessert, aber in der aktuellen Studie sagen immer noch mehr als 40 Prozent, dass die Würde des Sterbenden nicht hinreichend berücksichtigt wird.
Frage: Können Sie das näher erläutern?
Antwort: 43 Prozent der Befragten sind beispielsweise der Meinung, dass zu oft unnötig lebensverlängernde Maßnahmen an Sterbenden ergriffen werden. 1988 sagten das nur 32 Prozent.
Frage: Haben Ärzte und Pfleger Zeit, um sich angemessen um Sterbende zu kümmern?
Antwort: Nein. Der entschleunigte Prozess des Sterbens trifft da auf das beschleunigte System Krankenhaus. Das ist eine große Herausforderung. Viele Ärzte und Pflegende laufen deswegen mit schlechtem Gewissen herum. Zudem sieht sich das Personal - insbesondere die Ärzte - schlecht auf die Betreuung von Sterbenden vorbereitet. 38 Prozent aller Befragten sagen, sie seien durch ihre Ausbildung nur mangelhaft darauf vorbereitet worden.
Frage: Wo sehen sie am dringendsten Handlungsbedarf, um die Situation sterbender Krankenhauspatienten zu verbessern?
Antwort: Es kann nicht sein, dass das Krankenhaus als Ort des Sterbens eine Art Terra incognita ist, dass unsere aufgeklärte Gesellschaft an dieser Stelle kaum empirisch abgesicherte Kenntnisse hat. Am wichtigsten ist uns deshalb, dass das Thema seiner Bedeutung angemessen diskutiert wird. Zurzeit bestimmen die Erfahrungen der Hospizbewegung den Diskurs zum Thema, obwohl die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in einem Hospiz stirbt, unter fünf Prozent liegt.