Halle (dpa)
Sie haben Kriegsverletzungen oder chronische Krankheiten. Ein Arzt aus Halle kümmert sich in einer neuen Ambulanz um kranke Flüchtlingskinder. Sein größtes Plus: Er spricht mit ihnen arabisch.
Die Mutter hält ihr erschöpftes Kind im Arm. Vorsichtig legt sie das fiebernde Mädchen auf die Liege des kleinen Behandlungsraums im Universitätsklinikum Halle. "Es sieht nach einem viralen Infekt aus", sagt Rabie Twal nach einigen Minuten. Die Eltern scheinen erleichtert - es ist nichts Schlimmeres. Der promovierte Arzt ist für die Familie etwas ganz Besonderes. Denn der 30-Jährige spricht arabisch - wie sie. Seit Oktober arbeitet er mit seinen Kollegen in der neuen Flüchtlingsambulanz für Kinder. Er ist der einzige Arzt, der ohne Dolmetscher auskommt.
Sachsen-Anhalt hat 2015 nach Angaben des Innenminsteriums etwa 41 000 Flüchtlinge aufgenommen. Viele von ihnen haben eine lebensgefährliche Reise hinter sich. Erschöpft erreichen sie die Notunterkünfte außerhalb der Krisengebiete. Was sie in ihren Heimatländern - in Syrien, dem Irak oder Somalia - erlebt haben, sieht Rabie Twal den Flüchtlingen auch nach ihrer Reise noch an.
Vor einiger Zeit sei ein Patient in sein Behandlungszimmer gekommen, der im Krieg einen Granatsplitter ins Auge bekam, erklärt Twal. Ein anderes Mal war ein Junge bei ihm, der sich bei der Flucht den Oberschenkel brach. Der eilig operierte Bruch wuchs falsch zusammen. Hätte er den Fehler nicht bemerkt, würde das Kind sein Leben lang unter den Folgen leiden, sagt der Mediziner.
"Meine Sprachkenntnisse sind bei den Untersuchungen sehr hilfreich", erklärt Twal weiter. Sein Vater stammt aus Jordanien, ging zum Studium nach Deutschland und verliebte sich. Twal reiste später in das Land seines Vaters, lebte einige Zeit dort und lernte Kultur und Menschen kennen. Deshalb spricht er heute fließend arabisch. Seine Patienten fassten schnell Vertrauen zu ihm, wenn er in ihrer Sprache rede. Wichtige Informationen, die mit Hilfe eines Dolmetschers womöglich verloren gingen, kämen sofort bei ihm an.
Den Wunsch nach einer Flüchtlingsambulanz hatte der Direktor der Kinderkardiologie des Uniklinikums, Professor Ralph Grabitz. Seine Idee war, den Flüchtlingen nach der Erstuntersuchung, die jeder Neuankömmling im Land bekommt, eine Anlaufstelle zu bieten. Einen Ort, wo sie ihr Anliegen in ihrer Sprache vortragen können. Denn oft blieben wichtige Informationen auf der Strecke, wenn sie sich an einen deutschen Arzt wenden müssten. In der neuen Ambulanz würden sie nach der Untersuchung hingegen mit genauen Informationen an die entsprechenden Fachärzte weitergeleitet. "Die Kinder müssen versorgt werden, unabhängig davon, woher sie kommen und wohin sie gehen", betont Grabitz.
Twal untersucht rund 80 Prozent der neuen Patienten. Die übrigen Kinder würden von seinen Kollegen, unterstützt von Dolmetschern, behandelt, so Twal. Nicht Kriegsverletzungen gehörten zu den häufigsten Behandlungsgründen sondern chronische Krankheiten. Würden beispielsweise bei einer Schilddrüsenunterfunktion wichtige Medikamente zu lange ausgesetzt, könne das dauerhafte Schäden beim Kind hervorrufen. Es sei wichtig, die entsprechenden Rezepte zu schreiben.
Das fiebernde Mädchen kann nach wenigen Minuten gemeinsam mit Mutter und Vater die Praxis wieder verlassen. Die kleine Familie sei elf Tage unterwegs gewesen - geflüchtet aus Syrien, sagt Twal. Mit einem Boot kamen sie über das Mittelmeer. Sadil Alali - so heißt das Mädchen - habe Glück gehabt.