Hannover (dpa)
Ach, hätte ich doch ein Handy. Diesen Stoßseufzer vieler Kinder, die sehen, dass die Erwachsenen ihr Smartphone kaum mehr aus der Hand legen, dürften die meisten Eltern kennen. Wenn gerade kleinere Kinder das erträumte Gerät tatsächlich in den Händen halten, sind sie oft kaum noch ansprechbar. Umso erstaunlicher ist es, dass für gerade die Kleinsten einer neuen Untersuchung zufolge noch immer der Fernseher das absolute Lieblingsmedium ist. Das hat auch Schattenseiten - und das ist Eltern bewusst.
Tatsächlich gilt für Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren: Für 85 Prozent von ihnen ist das Fernsehgerät klar das bevorzugte Medium - vor Tablet (63 Prozent) und Smartphone (59 Prozent), wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännischen Krankenkasse mit Sitz in Hannover ergab. Nur die Gruppe der Zehn- bis Zwölfjährigen nutzt demnach das Smartphone (90 Prozent) etwas häufiger als den Fernseher (86 Prozent). Befragt wurden insgesamt 1001 Eltern mit Kindern der Altersgruppe. Die KKH ist mit rund 1,6 Millionen Versicherten eine der größten bundesweiten gesetzlichen Krankenkassen.
Mit Abstand folgen in der Rangliste der Mediennutzung unter Zwei- bis Zwölfjährigen die Spielekonsole (40 Prozent) sowie Computer, Laptop oder Notebook (30 Prozent). Und gerade einmal zwölf Prozent der befragten Eltern sogar der Allerjüngsten, der Zwei- bis Vierjährigen, gaben an, dass ihr Kind noch keines dieser Geräte nutze.
Laut Umfrage gehen 25 Prozent der Eltern davon aus, dass ihr Kind ein bis zwei Stunden am Tag auf einen Bildschirm schaut - 27 Prozent gehen von 30 bis 60 Minuten aus. 14 Prozent der Mütter und Väter gaben an, dass ihr Kind täglich auf zwei bis drei Stunden komme, 4 Prozent gehen von bis zu fünf Stunden aus. Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gibt es demnach kaum.
Unter den Zehn- bis Zwölfjährigen nutzen 59 Prozent digitale Medien bis zu zwei Stunden am Tag, 30 Prozent eher zwei bis drei Stunden, 10 Prozent sogar drei bis fünf Stunden. 88 Prozent der Fünf- bis Neunjährigen sehen bis zu zwei Stunden auf einen Bildschirm, 9 Prozent zwei bis drei Stunden. Unter den zwei- bis vierjährigen Kindern kommen 84 Prozent auf bis zu zwei Stunden. Allerdings sehen 48 Prozent der Kleinsten nur bis zu 30 Minuten auf einen Bildschirm.
„Eltern setzen ganz bewusst Regeln ein, um die Zeit ihrer Kinder vor dem Bildschirm einzuschränken - auch, damit sie einen abwechslungsreichen Alltag haben“, sagt die KKH-Psychologin Franziska Klemm. Nur: Wie viel Zeit ist sinnvoll - und ab welchem Alter?
Tanja Brunnert, Vize-Bundessprecherin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte rät: „Bildschirmfrei bis drei“. Bei Kindern unter drei Jahren sei es empfehlenswert, auf „Bildschirmkontakte völlig zu verzichten“. Auch Klemm sagt, digitale Medien hätten bis zum Ende des zweiten Lebensjahres keinen wirklichen Nutzen.
„Um einschätzen zu können, ob Länge oder Inhalt der Medienzeit für ein Kind zu viel sind, sollten Eltern ihren Nachwuchs beobachten. Reagiert das Kind mit Gereiztheit, Unkonzentriertheit oder vermehrtem Bewegungsdrang, sind dies Anzeichen dafür, dass die Medienzeit gegebenenfalls angepasst werden sollte“, sagt Klemm. Kinder müssten Schritt für Schritt an die digitale Welt herangeführt werden: „Das ist vergleichbar damit, Kindern ein sicheres Verhalten im Straßenverkehr beizubringen.“ In der Corona-Pandemie stieg die Medienzeit von Kindern wegen geschlossener Kitas und Homeschooling.
Das macht vielen Eltern Sorgen, der Untersuchung zufolge fürchtet mehr als die Hälfte (54 Prozent) der befragten Eltern negative Erfahrungen für ihre Kinder. Das können nicht-altersgerechte oder gefährliche Inhalte sein, aber auch Cyber-Mobbing. 43 Prozent der befragten Eltern sorgten sich auch wegen negativer Folgen für die Gesundheit ihres Kindes. 34 Prozent sahen die Gefahr, dass Familie, Freunde und Hobbys wegen des Medienkonsums zu kurz kommen könnten.
Möglicherweise nicht ganz zu Unrecht: „Übermäßige, unkontrollierte Mediennutzung und der Kontakt zu nicht-kindgerechten Inhalten können sich negativ auf die Gesundheit von Kindern auswirken“, warnt Klemm.
Brunnert spricht von möglichen Störungen der sprachlichen Entwicklung sowie beim Schlafverhalten und der Konzentrationsfähigkeit - und je intensiver die Mediennutzung, desto größer die Auswirkungen. Auf Dauer drohten sogar Suchtprobleme: „Es sind Parallelwelten, die da entstehen.“ Die Folgen jedenfalls seien „immens“. Nach einer Umfrage des Deutschen Kinderschmerzzentrums von 2019 werden zudem chronische Kopfschmerzen durch Medienkonsum begünstigt.
Was können Eltern tun? Sie müssten Dauer und Inhalte reglementieren, fordert Brunnert. „Und das muss man auch kontrollieren.“ Das sei zwar anstrengend - aber „die Power muss man als Eltern haben“. So gehöre ein Fernseher nicht ins Kinderzimmer und am Esstisch sollten auch die Eltern kein Handy benutzen.
Erschütternd nannte sie ihre Beobachtung beim Impfen von Säuglingen - wenn etwa Eltern das weinende Kind mit Hilfe des Handys trösten wollten: „Die Eltern leben das vor.“ Allerdings seien viele Eltern auch vorbildlich.
Und was ist davon zu halten, Bildschirmzeit einfach ganz zu verbieten? Brunnert meint, es gehe an der Lebensrealität vorbei, digitale Medien zum Tabu und „Mist“ zu erklären.