Berlin (dpa)
Die Impfquote in Deutschland ist zu niedrig, darüber sind sich die Experten einig. Sollten die Menschen deshalb verpflichtet werden, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen? Eine heikle Frage. Nun hat sich der Ethikrat positioniert.
Der Deutsche Ethikrat befürwortet eine Ausweitung der kürzlich beschlossenen Impfpflicht für Personal in Einrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen auf „wesentliche Teile der Bevölkerung“. Dies müsse aber mit weiteren Maßnahmen flankiert werden, heißt es in einer mehrheitlich beschlossenen Empfehlung des unabhängigen Gremiums, das die Bundesregierung in ethischen Fragen der Corona-Pandemie berät. Neben flächendeckenden Impfangeboten und ausreichend Impfstoff sollte demnach soweit möglich der Impfstoff frei gewählt werden können. Empfohlen werden auch direkte Einladungen mit personalisierten Terminen, ein datensicheres nationales Impfregister und verständliche Informationen.
Insgesamt stimmten 20 der derzeit 24 Ethikrats-Mitglieder für die Empfehlung zur Ausweitung der Impfpflicht und vier dagegen. Zum Umfang der Ausweitung gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen. So befürworten 13 von 20 Mitgliedern, die grundsätzlich dafür sind, eine Ausweitung der Impfpflicht auf alle Erwachsenen, die sich impfen lassen könnten. Sieben Mitglieder sind dafür, dies auf Erwachsene zu beschränken, die zu Corona-Risikogruppen wie Älteren oder Vorerkrankten gehören.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sieht im Mehrheitsvotum des Rats einen „sehr wichtigen Wegweiser“ für die Debatte und die Entscheidung zu einer Corona-Impfpflicht. Ähnlich wie viele Politikerinnen und Politiker habe der Ethikrat seine bisherige Haltung aufgrund der veränderten Lage revidieren müssen, sagte der Bundestagsabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. „Wir können als Gesellschaft die Pandemie nur hinter uns lassen, wenn wir lernfähig und offen für Kurskorrekturen bleiben.“ Politik verliere das Vertrauen der breiten Mehrheit vor allem dann, wenn sie sich als lernunfähig erweise.
Der Ethikrat war von Bund und Ländern um eine Einschätzung gebeten worden. Hintergrund ist, dass im Bundestag wohl Anfang kommenden Jahres ohne Fraktionsvorgaben über eine allgemeine Impfpflicht abgestimmt werden soll - dafür hatte sich unter anderen Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgesprochen. Eine erste begrenzte Corona-Impfpflicht wurde Mitte Dezember schon beschlossen: Beschäftigte in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Kliniken und Pflegeheime müssen bis 15. März 2022 nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind.
Der Ethikrat erläuterte, hohe Impfquoten seien entscheidend, um in eine kontrollierte Situation zu kommen. Dabei stelle eine Impfpflicht stets eine erhebliche Beeinträchtigung rechtlich und moralisch geschützter Güter dar. Eine Ausweitung sei nur zu rechtfertigen, wenn sie gravierende negative Folgen möglicher künftiger Pandemiewellen abschwächen oder verhindern könne - etwa eine hohe Sterblichkeit, langfristige Gesundheitsbeeinträchtigungen großer Bevölkerungsteile oder einen drohenden Kollaps des Gesundheitssystems.
Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt plädierte für eine schnelle Neuregelung. „Der Bundestag sollte im neuen Jahr zügig eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg bringen“, sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie lud dazu ein, „im Januar fraktionsübergreifend mit Fachleuten aus Wissenschaft und Gesellschaft einen offenen und transparenten Austausch über die Umsetzung einer allgemeinen Impfpflicht zu führen“.