Berlin (dpa)
Wenn das mal so einfach wäre: Die SPD sieht in einer einheitlichen Gebührenordnung ein geeignetes Instrument, um die „Zwei-Klassen-Medizin“, die „Zwei-Klassen-Wartezeiten“ oder den Ärztemangel auf dem Land zu beseitigen. Selten sind sich jedoch private und gesetzliche Krankenversicherung (PKV und GKV) so einig wie bei der Angleichung von Arzthonoraren. Die GKV mag sie nicht, weil sie wohl zu Lasten ihrer Beitragszahler geht. Und die PKV mag sie nicht, weil sie die verhasste, einheitliche gesetzliche Bürgerversicherung durch die Hintertür wittert.
Wie ist die Ausgangslage?
70,4 Prozent der Einnahmen der Arztpraxen entfallen auf Kassen-, 26,3 Prozent auf Privatabrechnungen. Zuletzt waren 86,2 Prozent der Bevölkerung gesetzlich, 10,6 Prozent privat versichert. „Ein Arzt löst mit vergleichbarer Leistung bei einem Privatversicherten das zweieinhalb- bis dreifache des Honorars im Vergleich zu einem gesetzlich Versicherten aus“, sagt der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem. Zwar bekommen Privatpatienten leichter Arzttermine. Ob die Behandlung besser ist, ist aber umstritten.
Was will die SPD beim Arzthonorar genau?
Sie ist wohl von der kompletten Angleichung von privater und gesetzlicher Krankenversicherung in einer gesetzlichen Bürgerversicherung abgerückt. Nun setzt sie auf ein neues, einheitliches Honorarsystem. Das heißt, das gleiche Honorar für den Arzt bei jedem Patienten, egal ob gesetzlich oder privat versichert. Für die Ärzte soll es dabei keine Einkommensverluste geben. Damit würde die Bevorzugung von Privatpatienten in den Praxen aufhören.
Was sagt die gesetzliche Krankenversicherung dazu?
Der Vize-Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, sagt der dpa: „Die Einführung einer einheitlichen Honorarordnung würde 90 Prozent der Menschen in diesem Land derzeit keinerlei Vorteile bringen, aber die Privatversicherten entlasten.“ Und eine bloße Angleichung der Honorare ohne Anpassung der ärztlichen Leistungen würde vor allem bedeuten, dass die GKV für die gleichen Leistungen mindestens sechs Milliarden Euro mehr bezahlen müsste.
Was sagt die private Krankenversicherung?
Sie hat zusammen mit der Bundesärztekammer (BÄK) ein Gutachten bei renommierten Gesundheitsökonomen in Auftrag gegeben. Die haben erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Denn mit einer solchen einheitlichen Gebührenordnung würde in die Vertragsfreiheit der Versicherten eingegriffen ebenso wie in die Berufsfreiheit der Ärzte sowie der Krankenversicherer, „ohne dass ausreichende Rechtfertigungsgründe ersichtlich wären, die den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts genügen würden“, heißt es in dem Gutachten.
Wie sieht es mit den Beiträgen der gesetzlich Versicherten aus?
Beide, die PKV wie die GKV, gehen von massiven Beitragssteigerungen für die gesetzlich Versicherten aus, sollte es zu einer Honorarangleichung kommen, bei der die Ärzte keine Einkommensverluste haben sollen. Die Gesundheitsökonomen gehen von einer Steigerung der Beiträge von etwa 0,46 Prozentpunkte auf rund 16 Prozent vom Brutto aus. Andere Experten rechnen sogar mit einem Anstieg um 0,6 Punkte auf 16,2 Prozent. Diese Mehrbelastung müssten nach dem jetzigen Beitragssystem in erster Linie die Arbeitnehmer schultern. Und das könnte wiederum die Sozialversicherungsbeiträge über die magische Marke von 40 Prozent treiben.
Würde sich bei den Wartezeiten etwas ändern?
Die GKV geht grundsätzlich nicht davon aus, dass gesetzlich Versicherte bei gleichen Honoraren tatsächlich schneller an einen Termin beim Arzt kommen würden. Die von PKV und BÄK beauftragten Gesundheitsökonomen argumentieren, schon rein rechnerisch sei fragwürdig, dass eine einheitliche Gebührenordnung die Wartezeiten verbessern könnte. Denn rund 10 Prozent Privatversicherte können die Wartezeiten der 90 Prozent gesetzlich Versicherten substanziell überhaupt nicht verkürzen. Der eigentliche Grund für die unterschiedlichen Wartezeiten sei die GKV-Budgetierung der ärztlichen Vergütung insbesondere am Ende des Quartals. Untersuchungen zeigten nämlich, dass Ärzte immer am Ende eines Quartals weniger Patienten für einen Routinetermin annehmen.
Verhindern Einheitshonorare tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin?
Wenn eine einheitliche Gebührenordnung - argumentieren die Gesundheitsökonomen - eine Mengensteuerung und eine Deckelung der Ausgaben nach sich zöge, würde sich schnell ein neuer Markt für „Premiumpatienten“ entwickeln. Denn weder der Gesetzgeber noch jemand anderes könne der PKV oder Ärzten verbieten, neue Zusatzangebote auf den Markt zu bringen. Ein Teil dieses Zusatzangebotes könnte unter anderem auch eine kürzere Wartezeit sein. Diese Entwicklung zeige sich bereits in der Schweiz und in den Niederlanden, nachdem dort der Gesetzgeber einen einheitlichen Versicherungsmarkt eingeführt habe.
Wo kommt das duale System in der Krankenversicherung eigentlich her?
Bis Ende des 19. Jahrhunderts regulierten in Deutschland allgemeine Gewerbeordnungen die Vergütungshöhe zwischen Arzt und Patient, wobei alle Patienten den Status eines Privatpatienten hatten. Auch die bereits bestehenden Systeme kollektiver Sicherung im Krankheitsfall hatten einen privatrechtlichen, oft genossenschaftlichen Charakter. 1884 führte dann Otto von Bismarck eine gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ein. Damit wird erstmals für einen bestimmten Personenkreis (zunächst gewerbliche Arbeiter) eine verpflichtende, gesetzliche Krankenversicherung geschaffen. Von nun an wird zwischen „gesetzlich“ und „privat“ unterschieden.