Berlin (dpa)
Kurz vor Ende der Wahlperiode greift der Bundestag das besonders heikle Thema Sterbehilfe auf. Er muss es. Denn die alte Regelung wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert.
Gut ein Jahr nach dem Sterbehilfe-Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts hat der Bundestag Anlauf für eine Neuregelung dieser hochsensiblen Frage genommen. In einer betont sachlich geführten Orientierungsdebatte diskutierten die Abgeordneten am Mittwoch kontrovers, welche Konsequenzen der Gesetzgeber aus dem Urteil ziehen soll. Das Parlament stehe vor einer „schweren Entscheidung“, sagte der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Sein Nachfolger Jens Spahn sprach von einem „ethischen Dilemma in vielerlei Hinsicht“.
Zahlreiche Abgeordnete warnten davor, Suizid zu einer neuen Normalität des Sterbens werden zu lassen. Wie ein roter Faden zog sich durch die Debatte die Forderung nach einem flächendeckenden Ausbau von Hospiz- und Palliativangeboten, um schwer kranken Menschen ein schmerzfreies und würdevolles Lebensende zu ermöglichen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres ein seit 2015 geltendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Es erklärte den entsprechenden Strafrechtsparagrafen 217 für nichtig. Das Verbot verletze den Einzelnen im Recht auf selbstbestimmtes Sterben, urteilten die Karlsruher Richter damals nach Klagen von Schwerkranken, Sterbehelfern und Ärzten. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Das gilt ausdrücklich für Jeden, nicht nur für unheilbar Kranke. Das Urteil stieß die Tür für organisierte Angebote auf - aber auch mit Regulierungsmöglichkeit wie Beratungspflichten oder Wartefristen. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.).
Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU) legte einen „Arbeitsentwurf“ als Beitrag für die gesellschaftliche Debatte vor. Er forderte: „Die Hilfe zur Selbsttötung sollte mit einem neuen Straftatbestand im Paragraf 217 unter Strafe stehen, die Hürden zur assistierenden Selbsttötung sehr, sehr hoch bleiben.“ Für ihn sei klar: „Es darf unter keinen Umständen einen sanften Druck geben, gesellschaftlich oder auch im privaten Umfeld, Angebote der Sterbehilfe auch annehmen zu sollen. Eine solche Entwicklung wäre für unsere Gesellschaft fatal.“ Spahn plädierte für „einen regulatorischen Rahmen mit klar definierten Ausnahmen, der Ärztinnen und Ärzte eindeutig vor Strafverfolgung schützt, wenn sie Sterbehilfe leisten“.
Der CDU-Politiker Ansgar Heveling betonte: „Unsere Verfassung ist ein Grundgesetz für das Leben und nicht für das Sterben. Und das muss sich in der gesamten Rechtsordnung widerspiegeln.“
Katrin Helling-Plahr von der FDP forderte dagegen: „Schaffen wir nicht wieder ein grundsätzliches Verbot jeglicher Hilfe und lassen wir die Finger vom Strafrecht.“ Die Menschlichkeit gebiete es, dass Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollten, auch Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung erhalten. „Wir sollten uns als Gesetzgeber an die Seite der Menschen stellen, die selbstbestimmt sterben möchten. Ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben darf es nicht nur auf dem Papier geben“, sagte die FDP-Politikerin.
Die Grünen-Politikerin Renate Künast forderte, für Sterbehilfe einen „klaren rechtssicheren Weg“ zu eröffnen. Denn: „Sterbehilfe und Beihilfe findet statt. Vereine gehen in Altersheime und beraten über das Recht am Ende des Lebens. Ärztinnen und Ärzte sind damit konfrontiert.“ Nina Scheer von der SPD betonte, wenn es - wie vom Bundesverfassungsgericht formuliert - ein entsprechendes Grundrecht gebe, dann bedeute dies, dass Betroffenen auch Hilfe gegeben werden müsse. „Sonst ist es im Verborgenen, sonst ist es in unwürdigen Situationen, dass Menschen sich das Leben nehmen. Das ist für mich Ausdruck von Unwürdigkeit.“
Die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch wünschte sich ein Gesetz, das das Selbstbestimmungsrecht der Menschen stärkt. „Ich will, dass Sterbende vor skrupellosen Geschäftemachern geschützt werden. Und ich will, dass Ärztinnen und Ärzte nicht länger in einer juristischen Grauzone arbeiten müssen.“ Auch Helge Lindh von der SPD verlangte, Sterbehilfeorganisationen, „die es gegen Bezahlung machen, aus dem Weg zu räumen“. Ziel müsse es sein, legale Wege zum Suizid zu schaffen.
Dagegen sagte der AfD-Abgeordnete Volker Münz: „Der assistierte Suizid darf nicht zu einer staatlich geregelten Art des Sterbens werden. Er darf nicht zu einer Normalität werden. (...) Wir dürfen die Büchse der Pandora nicht öffnen.“ Sein Parteikollege Norbert Kleinwächter warnte: „Je verfügbarer der Tod wird, desto häufiger wird er auch gesucht werden.“
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) dringt darauf, den Lebensschutz so weit wie möglich zu stärken. Das Karlsruher Urteil erfordere rechtliche Regelungen, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm der Deutschen Presse-Agentur. Aber: „Wir müssen alles vermeiden, was als Konsequenz dieses Urteils den Suizid zu einer normalen Option des Lebensendes macht. Das darf nicht passieren.“ Bedford-Strohm betonte: „Gleichzeitig darf man nicht moralisch hinwegsegeln über extreme Dilemma-Situationen, über extreme Leidenssituationen, wo Menschen keinen anderen Weg mehr sehen.“ Es sei wichtig, dass Gewissensspielräume für jene blieben, die wie Ärzte direkt mit Patienten zu tun hätten.