Frankfurt/Main (dpa)
Mediziner aus Krisenländern, die in Deutschland wieder arbeiten wollen, brauchen einen langen Atem und starke Nerven. Dass sie für die Prüfung zwei Sprachen parallel lernen müssen, ist nicht einmal der größte Stressfaktor.
Afram Shamoun hat jahrzehntelang in Damaskus Patienten behandelt - jetzt liegt er in Frankfurt auf einer Behandlungsliege und mimt einen Kranken mit Knieproblemen. Der 59-Jährige nimmt an einem Kurs teil, der Ärzte aus anderen Ländern auf die Zulassungsprüfung für Mediziner vorbereitet. Heute wird für die „Bettenprüfung“ geübt: Ein Teilnehmer spielt den Patienten, die anderen versuchen den Fall zu lösen, der Dozent kommentiert.
27 Mediziner nehmen an dem Kurs teil, den der Verein Berami organisiert. Im April 2016 ging es los, knapp 2000 Unterrichtseinheiten lagen damals vor ihnen, jetzt sind sie fast am Ende. Irgendwann in diesem Jahr werden sie in Marburg die Prüfung ablegen, die das hessische Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG) und die Landesärztekammer organisieren.
„Erguss, Druckschmerz, Funktionstest“, schreibt Bernd Lohmann an die Tafel. Er leitet heute den Kurs „Prüfungsfall Knieverletzungen“. Vor seiner Pensionierung war er Chirurg, seit September arbeitete der 69-Jährige zwei Tage die Woche als Dozent. Die Chancen der Kursteilnehmer seien „sehr gut“, sagt er. „Der Ärztemangel ist groß.“ Fachlich könne er wenig bemängeln, „das sind ja alles fertige Ärzte“ - der Knackpunkt ist die Sprache.
Lila Ghali erinnert sich gut an ihr erstes Praktikum in einem Wiesbadener Krankenhaus. Sie ist 38, Fachärztin für Gynäkologie und kommt aus Syrien. „Sie dachten, ich habe keine Erfahrung“, sagt sie in mittlerweile perfektem Deutsch. „Ich habe nichts verstanden und konnte nichts sagen.“ Auch wenn ihr Alltagsdeutsch inzwischen top ist - für die Prüfung reicht das noch lange nicht. Dafür muss man auch fit sein in der Fachsprache.
„Eigentlich müssen die Teilnehmer zwei Sprachen lernen“, sagt Atilla Vurgun, der medizinisch-fachliche Leiter des Angebots: Für die Kommunikation mit dem Patienten heißt es „Kniescheibe“, im Gespräch mit Kollegen und im Arztbrief „Patella“. Erschwerend komme hinzu, dass im Nahen Osten arabische Fachbegriffe statt wie bei uns lateinische verwendet werden.
„Ich habe Angst vor der Prüfung“, sagt Ammar Haeidar. Der 33-Jährige hat bereits eine „Berufserlaubnis“, mit der er - für beschränkte Zeit und unter Aufsicht - in einem Frankfurter Krankenhaus arbeiten darf. Er stammt aus Syrien, hat im Iran Medizin studiert und dort als Notarzt gearbeitet. Man merkt dem Mann an, unter welchem Druck er steht. Was ihn noch mehr stresst als Job, Lehrgang und Prüfung ist die Bürokratie.
Welches Sprachzertifikat braucht man, was ist Prüfungsinhalt, wann ist man überhaupt dran? Manche bekommen in wenigen Wochen einen Termin und andere in einem halben Jahr. „Wenn schon die Anmeldung so kompliziert ist, wie wird dann erst die Prüfung?“ Auch Raif Nahhas kennt diese Unsicherheit. Der 32-jährige Syrer wohnt in Mainz, wo er als „wissenschaftlicher Helfer“ am Uni-Klinikum arbeitet. Seit geraumer Zeit versucht er herauszufinden, ob Rheinland-Pfalz die in Hessen erworbene Fachsprachenprüfung anerkennt.
Knapp 10 000 Euro kostet der Vorbereitungskurs, wenn man alle Module bucht. Elf Monate, fünf Tage die Woche, acht Stunden täglich. Die Kosten übernimmt das Jobcenter oder die Arbeitsagentur. Die Nachfrage ist größer als die Kapazitäten der Kursanbieter. Es mangelt an Dozenten und Räumen. Wegen des großen Ansturms hat Berami inzwischen Auswahlgespräche eingeführt.
„Wir können Ärzte in der Patientenversorgung gut gebrauchen“, heißt es bei der Landesärztekammer, „sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich“. An erster Stelle stehe das Wohl des Patienten. „Deshalb darf es keine Abstriche an der Qualität geben.“ Laut Landesprüfungsamt wurden im vergangenen Jahr gut 300 Anträge auf eine Approbation und 114 Anträge für eine Berufserlaubnis gestellt.
Die Frage, wie viele es schaffen, am Ende in Deutschland zugelassen zu werden, können weder die Landesärztekammer noch das Sozialministerium beantworten. Auch über die Herkunftsländer ist angeblich nichts bekannt. „Bis vor zwei Jahren war Griechenland Schwerpunkt“, weiß das Landesprüfungsamt. „Derzeitiger Schwerpunkt ist Afghanistan, Syrien und die Türkei“.
Auch wenn die Ärzte jahrzehntelange Erfahrung als Facharzt haben: In Deutschland müssen sei bei Null anfangen. Die beiden Gynäkologinnen, die mit Kopftuch im Seminar sitzen, müssen wie alle im Kurs auch die Fachbegriffe aus Dermatologie, Lungenheilkunde oder Orthopädie lernen. Erst wenn sie die Approbation als Allgemeinmediziner haben, können sie erneut mit der Facharztausbildung anfangen. „Wir vergeuden da Ressourcen“, findet Berami-Mitarbeiter Vurgun.
Chirurg Lohmann, der Dozent, hat als Oberarzt und Chefarzt mit vielen ausländischen Kollegen zusammengearbeitet. „Viele machen in den Kliniken demütigende Erfahrungen“, sagt er. „Die laufen als Hospitanten mit; keiner hat was davon.“ Lila Ghali kennt das. „Man läuft hinter dem Chefarzt her - bis zur Klotür.“ Die Frauenärztin würde gern mit anpacken, wenn sie sieht, wie überlastet die Kollegen sind, darf aber - noch - nicht. „Die Ärzte leiden, weil sie so viel zu tun haben und wir leiden, weil wir zu Hause sitzen müssen.“